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Das schwarze Kreuz
Bild: Pixabay

Das schwarze Kreuz

Rolf Müller
Ein Beitrag von Rolf Müller, Pastoralreferent Pfarrei Mariä Himmelfahrt, Frankfurt
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Vor kurzem habe ich einen Mann besucht, seine Mutter war mit 85 Jahren gestorben. Im Lauf des Gesprächs hat er mir das kleine Adressbuch der Frau gezeigt. Sie hatte dort - akribisch geordnet - die Namen und die Adressen all ihrer Freundinnen und Freunde eingetragen. Aber nicht nur das. Das Buch war voller schwarzer Kreuze. Hinter den Namen derer, die schon tot waren, hatte die Frau ein dickes schwarzes Kreuz zusammen mit dem Todesdatum notiert. „Da stehen mehr Tote als Lebende drin“, hat mir der Sohn dazu gesagt.

Das Bild dieses Adressbüchleins ist mir noch lange im Kopf geblieben. Ich habe gespürt, wie allein die alte Frau am Ende ihres Lebens gewesen sein musste. Und mir ist wieder klar geworden: Je älter ich werde, desto mehr Menschen aus meinem Familien- und Freundeskreis sterben. Auch ich kann schon ein „schwarzes Kreuz“ hinter so manchen Namen in meinem Adressbuch machen.

Heute am Karfreitag denk ich daran: Den Jüngern Jesu ist es damals wohl genauso gegangen. Auch sie sind einsamer geworden, als Jesus auf unmenschliche Art und Weise gestorben ist; auch sie mussten Jesus wohl innerlich „abhaken“. Ich kann gut verstehen, dass sich die Jünger nach dem Tod Jesu voller Verzweiflung und Trauer erst einmal versteckt haben. Am Karfreitag wird mir mal wieder klar: Das Evangelium ist keine „Schönwetter – Botschaft“. Zu meinem Leben als Christ gehören schwere Zeiten und das „schwarze Kreuz“ dazu.

Erst nach ihrer Trauer und ihrem Kummer haben die Jünger erfahren: Da gibt es noch mehr. Sie erfahren: Jesus lebt; sie sehen ihn wieder.  In der Bibel lese ich: Sie haben eine Weile gebraucht, um das zu begreifen. Das tröstet mich sehr. Und es gibt mir Hoffnung. Am Ende wird es – trotz aller harten Zeiten und schwarzer Kreuze – keine Einsamkeit mehr geben, sondern ein Wiedersehen in einem neuen Leben. Vielleicht ist das die Karfreitagsbotschaft für mich heute: Ich darf trauern und auch ängstlich sein, aber ich kann auch auf ein gutes Ende hoffen.

 

 

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