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Das Lob des Nichtstuns
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Das Lob des Nichtstuns

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Das Nichtstun ist vom Aussterben bedroht. Der Moment, an dem ich mich langweile, den gibt’s gar nicht mehr. Früher als Kind, da kann ich mich an Langeweile erinnern. Jeden Tag nach dem Mittagessen zum Beispiel. Da hat meine Mutter ihren Mittagsschlaf gemacht. Und meine Schwestern und ich, wir mussten leise sein und uns ruhig beschäftigen. Wenn das Hörspiel zu Ende war, wussten wir nicht weiter. Dann haben wir uns echt gelangweilt. Die Stunde der Mittagsruhe kam uns Kindern endlos vor. Verordnete Langeweile.

Momente des Nichtstuns, heute sehne ich mich danach. Ich denke wehmütig an die Langeweile von früher zurück. An das Lichtspiel im Fenster, an das Muster der Raufasertapete, an die Form des Fleckens auf dem Teppich, an das Bild von Chagall, das bei uns hing. Ich kannte jeden Zentimeter des Bildes auswendig. Meine Umwelt so genau wahrnehmen, das war nur möglich, weil ich frei von anderen Einflüssen und Zwängen war. Nicht eben mal noch den Tag morgen planen. Nicht schnell das Chaos in der Wohnung sortieren, kein Smartphone, um Nachrichten zu checken oder die aktuellen Schlagzeilen zu überfliegen.

Tatsächlich beeinflussen auch die digitalen Medien mein Lebensgefühl. Ich werde ständig unterbrochen, weil neue Informationen reinkommen, die ich wahrnehmen und verarbeiten muss. Und habe trotzdem ständig das Gefühl, etwas zu verpassen. Eigentlich müsste ich dank Computer und Internet mehr Zeit zur Verfügung haben als meine Eltern und Großeltern. Das Gegenteil ist der Fall. Ich lese, maile, esse, telefoniere, trinke oft gleichzeitig und stopfe jede Minute voll.

Das Nichtstun steht in Verruf. Wer nichts zu tun hat, ist scheinbar nicht so wichtig. Doch könnte es sein, dass wir den Wert des Faulenzens unterschätzen? Schließlich gibt es eine allerhöchste Legitimation dafür. Das Nichtstun wird gleich am Anfang der Bibel sogar für heilig erklärt und gesegnet. Ja, Gott ist ein Macher, ein Aktivist – wäre da nicht der siebte Schöpfungstag, an dem Gott ruht und nichts tut. Doch das Bild von Gott, der nichts tut, wird oft verdrängt. Der schaffende und dynamische Gott beherrscht bis heute mein Denken. Das hat fatale Folgen. Denn Gott ist auch ein Vorbild für mich.

Wenn aber Gott für mich immer nur aktiv ist, dann sehe ich den Sinn meines Daseins auch nur im Arbeiten und Tun. Selbst meine freie Zeit steht oft unter Erfolgsdruck. Wer will nicht bei seinen Kollegen mit interessanten Urlauben und coolen Wochenend-Aktivitäten punkten? Zelten in der Wildnis, Kletterwand, Europapark…

Martin Luther hat dagegen einmal gesagt: „…man dient Gott auch durch Nichtstun, ja durch keine Sache mehr als durch Nichtstun.“ Also zurück zur Ruhe. Am besten ich nehme mich und mein Tun nicht ganz so wichtig. Und gönne mir mehr Pausen und Muße.

Man dient Gott auch durch Nichtstun, sagt Luther. Wie wunderbar! Lieber Gott, lass es mich wieder lernen, mich zu langweilen. Löcher in die Luft starren und mich dabei nicht schlecht fühlen.
 

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