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Beppo der Straßenkehrer
Bild: pixabay

Beppo der Straßenkehrer

Dr. Paul Lang
Ein Beitrag von Dr. Paul Lang, Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg

Kirchtürme faszinieren mich. Sie verraten eine Menge über die Menschen, die sie erdenken und erbauen. Vergangenen Sommer habe ich im Süden von München einen entdeckt, der mir gut gefällt. Er ist 1959 zusammen mit der Kirche Maria Immaculata erbaut worden. Er steht frei neben dem Kirchenschiff. Ein Campanile also, ein bisschen italienisch. Schlank und elegant streckt er sich hoch zum Himmel und nimmt die Blicke mit. Oben trägt er eine Uhr. Ein himmelblaues großes Ziffernblatt, Sonne und Mond auf dem Stunden-, ein Stern auf dem Minutenzeiger. Diesen Fingerzeig zum Himmel mit einer solchen Uhr lese ich als freundliche Ermahnung: Werde glücklich in dieser Zeit! Es gibt nur sie, nutze sie!

Um den richtigen Umgang mit Zeit geht es in Michael Endes Roman Momo. Momo, die Hauptperson, ein kleines Mädchen, beobachtet mit wachem Verstand ihre ganze Umgebung und hinterfragt sie. Zu ihren besten Freunden gehört Beppo. Beppo ist Straßenkehrer.

"Siehst du, Momo", erzählt Beppo ihr, "manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, das kann man niemals schaffen, sie zu kehren." Dann fährt er fort: "Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird. Und man strengt sich noch mehr an, kriegt Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. So darf man es nicht machen.
Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten." Beppo hält inne: "Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein."

Tag für Tag habe ich als Mensch so unendlich viel zu tun; irgendwie oft dasselbe, aber doch mühsam. Wie ist das mit Zeit? Ich will sie für mich. Schnell etwas erledigen und dann frei haben! Rasch noch diese Arbeit, rasch noch eine Mühe, dann kommt das Glück - Irrtum! Zeit ist meinem Zugriff entzogen. Ich kann sie nicht sammeln oder sparen wie Momos Gegner, die „grauen Männer“ das behaupten. Aber ich kann Zeit genießen, sie nutzen, sie empfangen. Das klingt seltsam, aber ist menschliche Erfahrung. Das ist das Geheimnis des Glücks. Beppo hat dieses Geheimnis entdeckt. Er teilt es mit uns. Zeit ist nicht Menge, nicht verfügbar, sie ist geschenkt. Menschen sind in Gefahr, Zeit zu verpassen. Manchmal warte ich auf die vermeintlich bessere Gelegenheit, bin unzufrieden mit dem, was ist, will mehr und verpasse das Beste. Davor warnt Beppo: Du kannst nicht dein ganzes Leben auf einmal bewältigen. Nimm den Augenblick, der jetzt da ist, nicht das nächste Jahr oder die Zeit nach Corona oder morgen - nein: jetzt. Jetzt ist der Augenblick glücklich zu sein. Das ist nichts anderes als Gott zu finden. 

Die Uhr am Kirchturm sagt: Lass dir die Zeit schenken. Warum nicht jetzt gleich?!

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