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Rotkelchen
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Rotkelchen

Gabriele Heppe-Knoche
Ein Beitrag von Gabriele Heppe-Knoche, Evangelische Pfarrerin, Kassel

Die Eiche in meinem Garten wirft erst spät ihr Laub ab. Und so lagen im Dezember noch große Haufen Laub überall im Garten verteilt. An einem trockenen Nachmittag machte ich mich daran, alles in Säcke zu verstauen. Da hörte ich nahe bei mir ein Geräusch. Nicht nur einmal, sondern immer wieder. Etwa so:  (Geräusch nachahmen). Als ich mich umsah, entdeckte ich ganz nah auf einem Forsythienzweig ein Rotkehlchen. Es ließ sich von meinen Bewegungen gar nicht stören. Immer wieder hörte ich seine Stimme. – Ich ging weiter zum nächsten Laubhaufen und sah dabei im Augenwinkel eine kleine Bewegung. Das Rotkehlchen folgte mir und setzte sich wieder ganz nah auf einen Zweig in der Hecke.  Seine Stimme ließ mich immer wieder wissen, dass es da war. So nah wie sonst selten Wildvögel Menschen kommen. Es folgte mir bei meiner Arbeit durch den ganzen Garten. Und ich fühlte mich besonders begleitet und seltsam getröstet. So als ob ein guter Geist in meiner Nähe sei. Unwillkürlich dachte ich an meine verstorbene Mutter.

Am Abend erzählte ich einer Freundin von der Begegnung und sie erzählt von ihrem Nachbarn, der auch im Garten von einem Rotkehlchen begleitet wird und sich ganz sicher ist, dass ihm sein früh verstorbener Sohn bei der Arbeit zusieht.

Ich habe inzwischen ein bisschen über Rotkehlchen gelesen. Dabei bin ich auf eine Legende gestoßen (die aus dem Niederländischen stammt und sich auch in den Christuslegenden von Selma Lagerlöf findet). Darin wird erzählt, dass das Rotkehlchen zunächst nur ein grau-brauer, unscheinbarer Vogel war. Eines Tages wird er Zeuge eines grausamen Geschehens. Er sieht, wie Jesus ans Kreuz geschlagen wird und wie er unter den Schmerzen leidet. Um ihm beizustehen und ihn zu trösten, versucht der Vogel, seine Schmerzen zu lindern. Er drückt sich mit der Brust gegen die Dornenkrone und versucht einen der Dornen herauszuziehen, die in die Stirn Christi eingedrungen sind. Dabei löst sich ein Blutstropfen aus der Wunde und tropft dem kleinen Vogel auf die Brust. Seitdem ist seine Kehle rot gefärbt, er ist zum Rotkehlchen geworden.

Legenden bilden sich um bestimmte Gegebenheiten wie einen roten Kehlfleck oder sie greifen Erfahrungen auf. Offensichtlich haben schon viele Menschen zu unterschiedlichen Zeiten die tröstliche Nähe dieses kleinen Vogels erfahren. Und haben darin einen guten Geist gespürt. Nah und tröstlich, eine freundliche Begleitung ohne Worte. Für mich ist das Rotkehlchen seit dieser Begegnung ein Zeichen geworden. Immer wenn ich sehe, wie es in meinem Garten nach Futter sucht, denke ich an Gott, der auf mein Leben sieht und mich freundlich begleitet.

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