Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Offene Grenzen: Das ist Europa

Offene Grenzen: Das ist Europa

Alexander Matschak
Ein Beitrag von Alexander Matschak, Medienkoordinator des Bistums Mainz
Beitrag anhören:

Als Kind fand ich das spannend und etwas ganz Besonderes: Meine Mutter kommt aus einem anderen Land! Sie ist nämlich Belgierin. Sie war gerade mal 16 Jahre alt, als sie nach Deutschland gekommen ist. In Bonn hat sie ihre Ausbildung zur Kinderkrankenschwester gemacht. Dort hat sie meinen Vater kennengelernt und ist geblieben. Fast 50 Jahre ist das jetzt schon her. Aufregend sind für mich als Kind immer die Besuche bei meinen Verwandten gewesen. Denn es ging ja immer über eine Grenze – und vor 30 Jahren waren Grenzkontrollen natürlich noch üblich. Ich habe immer gehofft, dass wir unsere Ausweise zeigen mussten und nicht nur durchgewunken werden.

Heutzutage ist das natürlich ganz anders – nur ein verlassener Posten an der Autobahn erinnert noch an die alte Grenze. Meine Kinder kennen es gar nicht anders, für sie sind offene Grenzen selbstverständlich. Und wenn ich ihnen erzähle: „Früher musste ich sogar Geld umtauschen, um in Belgien einzukaufen“ – dann schauen sie mich mit großen Augen an. So, als ob ich Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit erzähle. Das offene Europa –  es ist selbstverständlich für meine Kinder. Selbstverständlich auch für mich. Trotzdem erlebe ich: Das offene Europa ist mehr und mehr bedroht. Viele Regierungen und Parteien lehnen die europäische Idee vehement ab. Nationaler Egoismus hat verstärkt Konjunktur. Und bei der Europawahl in gut drei Wochen werden vermutlich mehr Europagegner im Europäischen Parlament sitzen als bisher – so sagen jedenfalls die Demoskopen.

Heute ist der Europatag der Europäischen Union. Und da denke ich vor allem an eines: Seit über 70 Jahren herrscht in Europa weitgehend Frieden. Hier, wo es jahrhundertelang Tod, Elend, Verwüstung und Vertreibung gab und Millionen Menschen gelitten haben. Hier, wo es kaum ein Jahrzehnt ohne kriegerische Auseinandersetzungen gab. Wir können seit zwei Generationen in Frieden mit unseren Nachbarn leben. Was für ein unglaubliches Glück, was für ein einmaliges Geschenk. Das sollten wir nicht achtlos wegwerfen. Klar: Natürlich ist auch in Europa nicht alles Gold, was glänzt. Ich wünschte mir, wir würden in Europa menschenwürdiger mit Geflüchteten aus anderen Kontinenten umgehen, uns noch mehr für den Klimaschutz einsetzen, oder mehr Verantwortung für unsere ärmeren Nachbarn übernehmen – zum Beispiel in Afrika.

Trotz allem: Das vereinte Europa ist ein großartiges Friedensprojekt. Ich habe es als ein offenes Europa schätzen kennengelernt. Und ich wünsche mir sehr, dass es so bleibt. Dass es weiterhin offen bleibt gegenüber anderen Kulturen und Ländern – nicht nur in Europa. Ich jedenfalls werde meine Tochter und meinen Sohn immer wieder daran erinnern, wie einmalig dieses offene Europa ist. Und eines wünsche ich mir sehr: Dass auch sie mit ihren Kindern noch über offene Grenzen fahren können.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren