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Die Gass' muss gekehrt sein
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Die Gass' muss gekehrt sein

Daniel Lenski
Ein Beitrag von Daniel Lenski, Evangelischer Pfarrer, Königstein-Falkenstein
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Samstags muss die Gass‘ gekehrt sein, auch in der Wetterau. Bereits am Samstagmorgen ist hier auf der Straße was los. Es dauert in der Regel nicht lange, bis ich fast alle meine Nachbarn vor der Haustür treffe. Denn auch wenn gerade kein Schnee liegt, ist jeder darauf bedacht, den Bereich vor seinem Grundstück penibel sauber zu halten.

Als ich vor einigen Jahren in die Wetterau zog, konnte ich nicht glauben, welche Bedeutung dieser Kehrtag für die Menschen hat. Aus München oder Leipzig kenne ich das nicht. Ein Nachbar hat mich bald darauf hingewiesen, dass ich auch die Gräser zwischen den Bordsteinfugen herauskratzen muss. Dafür gibt es sogar besondere Messer. Außerdem will niemand in meinem Viertel der letzte sein, wenn es darum geht, die geleerten Mülltonnen wieder in den eigenen Hof zu schieben.
Ich finde es schön, dass sich die Leute so um ihre Straße kümmern. Den Gehweg benutzen schließlich alle, und jeder hat was davon. Gerade im Winter ist es besonders wichtig, dass man auf dem Bürgersteig laufen kann ohne auszurutschen. Als aber einige Anwohner über die Nachbarin tuscheln, die sich im Herbst nicht um ihr Laub kümmert, werde ich stutzig. Ein anderes Mal sagt ein Mann bei einer Beerdigung über den Verstorbenen: „Über den kann ich nur Positives sagen. Samstags hat der immer die Gass‘ gekehrt!“

Auch ich kenn das. Oft beurteilt man doch andere danach, ob sie auch ordentlich „schaffe“ – für sich und für andere. Der leergefegte Weg vor unserer Haustür ist ein Zeichen dafür, was ich aus eigener Kraft leisten kann.
Für mich ist das nicht das entscheidende. Auf meinem Grabstein muss nicht stehen: „Der hat immer die Gass‘ gekehrt.“ Ich möchte nicht wertgeschätzt werden, weil ich enorm erfolgreich oder der Super-Nachbar bin, sondern als Mensch mit all meinen Eigenschaften und Fähigkeiten, meinen Stärken und Schwächen. Manchmal gebe ich mir wirklich Mühe, mich auch als Nachbar vorbildlich und sozial zu verhalten. Manchmal schaffe ich es auch einfach nicht, den Kehrerwartungen meiner Nachbarschaft gerecht zu werden. Und das ist grundsätzlich nicht schlimm, darin bestärkt mich als Christ auch mein Glaube. Denn vor Gott bin ich angenommen, wie ich bin. Unabhängig von meiner Leistung. Das nimmt mir den Druck, immer perfekt sein zu wollen. Das gibt mir Luft zum Durchatmen und anschließend auch wieder die Kraft, richtig loszulegen. Und die brauchen wir. Denn natürlich lebt jeder Ort davon, dass wir uns für ein gutes Miteinander einsetzen. Und Leute, die gemeinsam anpacken, können viel bewirken. Auch für andere, z.B. für solche, die alt oder krank sind und deshalb ihren Bordstein nicht mehr selbst fegen können.  
An das Kehren am Samstag habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Und auch die Bordsteinfugen vor unserem Haus sehen ziemlich sauber aus. Aber wenn ich mal nicht dazu komme, am Samstag die Gass‘ zu kehren, nehme ich das heute gelassen: Vielleicht war es an diesem Wochenende einfach wichtiger, mit unserem kleinen Sohn zu spielen.

Genauso muss ich mich aber auch selbst kritisch fragen: Wonach beurteile ich selbst eigentlich meine Nachbarn? Hoffentlich nicht nach der Größe des Laubhaufens vor ihrer Haustür.

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