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Von meinem Winzer das Warten lernen
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Von meinem Winzer das Warten lernen

Martin Vorländer
Ein Beitrag von Martin Vorländer, Evangelischer Pfarrer und Senderbeauftragter für den DLF, Frankfurt
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Warten. Das müssen wir in diesen Zeiten zur Genüge. Jeder Tag im Homeoffice ist für mich eine Geduldsprobe. Meine Internetverbindung funktioniert mal so, mal so. Schon eine ganz normale Textdatei braucht manchmal gefühlte Ewigkeiten, bis sie sich öffnet. Ich übertreibe ein wenig, aber nicht viel.

"Warten ist ein Sport, den man fortlaufend trainieren muss"

Klar haben wir die Leistungsstärke unseres Anschlusses aufgerüstet. Trotzdem: Die Wartezeiten begleiten mich – zu kurz, um währenddessen etwas Anderes zu machen. Zu lang, um nicht manchmal vor Ungeduld in die Tastatur zu beißen. Warten ist ein Sport, den man fortlaufend trainieren muss.

Für Winzer gehört Geduld zum Leben

Der Winzer nebenan lächelt, als ich ihm mein Leid klage. „Weißt du“, sagt er. „Wir Winzer wissen, was Geduld heißt.“ Und dann beschreibt er, wie viel Warten zu seinem Beruf gehört. Warten, bis die Frostnacht ein Ende hat. Warten, bis der Starkregen aufhört, die Erde wegzuspülen. Mein Winzer sagt: „Wir haben nichts in der Hand. Es wird uns alles gegeben, natürlich auch manchmal genommen. Geduld ist Normalität.“

Ein neuer Weinberg braucht zwei bis drei Jahre, bis zu einer guten Ernte

Wer einen neuen Weinberg pflanzt, muss zwei bis drei Jahre warten, bis es eine nennenswerte Traubenernte gibt. Beim Warten sind die Winzerinnen und Winzer nicht untätig. Sie gehen jedes Jahr mehr als 20 Mal zu jedem Rebstock. Sie schauen ständig nach den bereits abgefüllten Fässern.

"Ich kann warten. Wir brauchen nur ein klein wenig Geduld."

Mein Winzer sagt: „Wir tun das in der Gewissheit, dass es ein gutes Ende findet. Nämlich uns ernährt.“ Und er fügt hinzu: „Manchmal frage ich mich in diesen Zeiten, warum man so ungeduldig ist. Ich kann warten. Wir brauchen nur ein klein wenig Geduld.“

Geduld haben bedeuted "dran bleiben"

Das Wort für Geduld bedeutet in der Bibel „dran bleiben, darunter bleiben“ – so wie ein Pfeiler darunter bleibt und die Decke trägt, damit das Haus nicht einstürzt. Dieses Dranbleiben hilft mir bei meinem täglichen Warten. Das ist nicht passiv, sondern aktiv – so wie Winzerinnen und Winzer in ihren Wartezeiten aktiv sind und nach ihrem Weinberg schauen. Ich hoffe, dass auch meine Wartezeiten am Ende Früchte tragen.

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