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Selfie am Morgen
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Selfie am Morgen

Claudia Rudolff
Ein Beitrag von Claudia Rudolff, Rundfunkpfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel
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Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin! (Ps 139, 14). So betet ein Mensch vor ca. 3000 Jahren zu Gott. Ich weiß nicht, ob dieses Gebet von einem Mann oder einer Frau stammt. Auf jeden Fall beneide ich diese Person: Sie ist mit sich im Einklang und die Worte zeugen von einem gesunden Selbstbewusstsein. So wie bei Anna, einer jungen Frau, die ich auf einer Tagung kennengelernt habe. Anna stellt nämlich Handyfotos von sich selbst, sog. Selfies, ins Netz. Nein, keine Fotos, die sie toll gekleidet zeigen. Auch keine Selfies von einer Reise, mit einer Sehenswürdigkeit im Hintergrund, oder im Restaurant mit Freunden. Nein, die sind ja alltäglich geworden. Anna folgt einem neuen Trend und macht hin und wieder ein Selfie von sich gleich nach dem Aufstehen. Das stellt sie dann auf ihre Facebookseite. Sie zeigt sich ungeschminkt, so wie sie ist. Zum Beispiel verwuschelt und müde.

Verrückt, ich käme nicht auf die Idee von mir morgens ein Selfie zu machen. Der erste Blick in den Spiegel fällt meist kritisch aus: Die Haare liegen nicht, kleine Pickel sind noch nicht unter Abdeckcreme versteckt, neue Falten werden entdeckt.
Ich sage Anna, wie mutig ich sie finde. Sie erklärt mir: Ich möchte mich nicht abhängig machen, was andere als Schönheitsideal darstellen. Ich will selbst definieren, was für mich Schönheit ist. Und dazu möchte ich auch andere durch meine Selfies ermutigen. Damit schaff ich’s nicht auf den Titel von der Vogue oder Men’s Health, aber das bin ich, ich steh dazu“.
Ich weiß nicht, ob Anna Gott dafür dankt, dass sie wunderbar gemacht ist, aber sie findet sich schön und nimmt sich so an wie sie ist.
Ob ich es auch mal ausprobiere und morgen von mir ein Selfie gleich nach dem Aufstehen mache? Natürlich nicht um es ins Netz zu stellen, sondern nur für mich. Ich bin unsicher, und gleichzeitig überzeugt: Die Welt sieht für Menschen, die sich schön finden, auch schön aus.

Vielleicht wäre das ein erster Schritt, um sich immer wieder anzunehmen so wie man ist: Morgens in den Spiegel zu schauen und die alten Worte nachzusprechen: „Ich danke Dir Gott, dass ich wunderbar gemacht bin“. (Ps139,14)

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