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P!ink: „Dear Mr. President”
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P!ink: „Dear Mr. President”

André Lemmer
Ein Beitrag von André Lemmer, Katholischer Pfarrer in der Pfarrei Sankt Elisabeth in Kassel
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Die unangenehmen Fragen – wieso sie so wichtig sind

Lieber Herr Präsident, komm, lass uns spazieren gehen.

Die Sängerin P!nk lädt kurz vor Weihnachten 2006 zum gemeinsamen Spaziergang ein. Eingeladen ist, auch wenn sein Name im Lied nicht fällt, der damalige Präsident der USA: George W. Bush.

Ich war damals von diesem Song damals sofort gefangen. Die Stimme von P!nk, die ich sonst aus Pop und Rockliedern kenne, arrangiert sich wunderbar mit den Folk-Klängen einer Akustikgitarre. Und: Ich kann nicht vorbei hören. Ich höre gebannt auf den Text. Dear Mr. Pesident hat mir in keiner Sekunde erlaubt, mich in den Akkorden der Gitarre zu verlieren.
Kurz vor Weihnachten, damals im Jahr 2006, stand ich mal wieder auf der A1 bei Köln im Stau. Die Heizung im Auto war voll aufgedreht. Ich freute mich auf ein paar schöne Tage bei meiner Familie und eigentlich war mir im Radio nach diesen Weihnachtsliedern, die an solchen Tagen in Endlosschleife laufen.

Aber es kam anders. Als P!ink den Präsidenten aufforderte, mit ihr spazieren zu gehen, hat sie auch mich mitgenommen.
Was wäre, wenn, dachte ich mir, was wäre wenn es wirklich mal möglich wäre, einem so mächtigen Mann auf Augenhöhe zu begegnen?
Was hätte ich da für Fragen an ihn?
Ich fand den Gedanken schon fast beschaulich. Ein entspannter Spaziergang – Aber P!nk will nicht gemütlich spazieren gehen. Sie will auch nicht über Belangloses reden, sondern kommt gleich zur Sache:

What do you feel when you see all the homeless …

„Was fühlst du, wenn du all die Obdachlosen auf der Straße siehst?
Für wen betest du nachts, bevor du schlafen gehst? Was fühlst du, wenn du in den Spiegel schaust? Bist du stolz?
Wie schläfst du, während der Rest von uns weint? Wie träumst du, wenn eine Mutter keine Chance hat, sich zu verabschieden?
Wie kannst du mit hocherhobenem Haupt herumlaufen? Kannst du mir überhaupt in die Augen schauen? Und mir sagen: Warum?“

Mein Finger trommelte plötzlich nicht mehr auf dem Lenkrad den Takt mit. Ich stellte schnell die Lüftung niedriger, damit ich jedes Wort verstand.
Das waren keine beiläufigen Fragen, die P!ink da stellte. Etwa nach der Bürde des Amtes eines Präsidenten. Nein, das waren tiefe, bohrende Fragen. Fragen nach der Selbstwahrnehmung dieses Mannes.

P!nk fragt: Wie träumst du, obwohl es Mütter in unserem Land gibt, die sich nicht von ihren Kindern verabschieden können? Diese Kinder ziehen für dich und für dieses Land in den Krieg und sterben?
Auf der A1 im Stau war ich hellwach. In mir war aber auch ein Konflikt: Darf P!nk so fragen? Ist das die korrekte Behandlung von komplexen Zusammenhängen und vor allem: Wird das der Person des Präsidenten der Vereinigten Staaten gerecht?

Sicher, bei der Führung eines Landes kann ein Staatsoberhaupt sich nicht um alle Emotionen, die politische Entscheidungen auslösen, Gedanken machen. Sicher, je komplexer die Sachverhalte und Entscheidungen sind, umso wahrscheinlicher ist es, dass es doch Menschen gibt, die nicht beachtet werden oder die durch die Strukturen fallen. Aber das alles darf einen Menschen, gerade wenn er viel Macht hat, nicht unantastbar machen - oder solche Fragen verbieten.
Also hat auch die Sängerin P!nk das Recht, diese Frage zu stellen.
In der Vorankündigung des Albums auf dem Musiksender M-TV sagte sie, dass es doch großartig wäre, in einem Land zu leben, in dem solch kritische Fragen auch gestellt werden dürfen.

Und ich glaube ihr. Ich glaube, dass sie diese Fragen bewegen und dass sie eine Haltung dazu einnimmt, wenn sie sie laut stellt.
P!ink zeigt, dass wir trotz aller Schwierigkeiten mancher politischen oder gesellschaftlichen Entscheidungen nicht aufhören dürfen, unsere eigene Haltung zu prüfen.
Denn es geht P!nk nicht nur darum, ihre eigene Meinung kundzutun, sondern auch darum, dass der Angefragte seine eigene Haltung überprüft. Und das kann dem Angefragten auch wehtun.

What kind of father would take his own daughter’s rights away…

„Was für ein Vater würde seiner eigenen Tochter die Rechte nehmen?
Was für ein Vater würde seine eigene Tochter hassen, wenn sie lesbisch wäre?
Ich kann mir vorstellen, was die First Lady dazu zu sagen hat.
Du hast es weit gebracht, ausgehend von Whisky und Kokain.“

P!nk fragt ganz direkt: Kannst du dir wirklich treu bleiben bei all dem, was du entschieden hast? Kannst du das auch leben, wenn es dich direkt betrifft?
Bush, der Gegner von Abtreibungen und homosexuellen Partnerschaften ist, muss sich diese Fragen schon gefallen lassen.
Damals, 2006, als ich vor Weihnachten im Auto auf der A1 saß, war plötzlich die Länge des Staus egal. Während draußen die Autos nicht vorwärtskamen, ging ich meinen Spaziergang mit P!ink weiter.

Ich fragte mich: Wie gehen wir mit solchen Fragen um? Haben wir den Mut, sie anderen zu stellen? Und noch mehr: Haben wir den Mut, uns solchen Fragen zu stellen, wenn sie an uns gerichtet sind?

Denn in aller Brisanz der Fragen dieses Liedes, bei aller Härte, die sie haben, wurde mir im Auto klar: Sie müssen gestellt werden. Und manchmal genau so frech und direkt, wie es P!nk in Dear Mr. President macht.

Weil die Fragen nicht einfach beleidigen oder überheblich Lösungen anbieten.
All diese Fragen hoffen, dass sich in diesem Menschen George W. Bush etwas ändert.
Mehr als hoffen können sie nicht. Aber genau das ist ihre Kraft. Genau das ist ihre Wirkung. Es ist die Hoffnung, die in ihnen liegt.  

Und diese Wirkung erzielen die Fragen nicht nur beim Präsidenten. Jeder, der dieses Lied hört und einmal nachforscht, was hinter den einzelnen Liedzeilen steckt, kann daraus lernen.
Nicht nur, wo die Probleme der Bush-Regierung lagen, sondern wo die Probleme in der eigenen Haltung verborgen sind.

Daher lohnt ein Blick auf das eigene Selbst. Und zwar nicht nur in der langen Rückschau, sondern immer einmal wieder. Tatsächlich versuche ich persönlich das sehr oft. Jeden Abend vor dem Schlafen gehen bete ich ein besonderes Gebet, welches „Komplet“ heißt. Ganz am Anfang steht bei diesem Gebet eine Gewissenserforschung.

Ich kann Ihnen sagen, es ist nicht immer angenehm, was ich da so über mich selbst erfahre. Wo ich hinter meiner eigenen Haltung zurückgeblieben bin und nicht das gelebt habe, was meine innere Haltung von mir fordert. Manchmal zucke ich regelrecht zusammen, wenn ich feststelle, dass ich da an meinem Stolz oder der Angst vor der Meinung anderer gescheitert bin.

Aber dieses Gebet ist es, das mir Mut macht, es trotzdem anzugehen, zu meiner Haltung zu stehen und mich auch dort zu verändern, wo ich wirklich an mir arbeiten muss.
Es ist dieses Gebet, was mir zeigt, dass ich nicht schweigen darf, wo ich bei anderen entdecke, dass innere Haltung und äußere Haltung nicht zusammenpassen.

Aber es ist auch dieses Gebet, welches mich an einen wichtigen Punkt erinnert. Wenn ich Kritik übe, dann muss ich es immer in solcher Art und Weise tun, dass sie auch ankommt. Kritik soll nicht lediglich verletzen, sondern den anderen dazu bereit machen, sich zu ändern. Ich bin dankbar für dieses Gebet. Und ich bin dankbar für Menschen wie P!nk, die auch mal Mut zeigen und Haltung beweisen.

Der Stau kurz vor Weihnachten hat sich dann aufgelöst. Meine Gedanken nicht. P!nk hat mich mit auf einen Spaziergang genommen und ich merke, wie gut es mir tut, immer wieder selbst diesen Spaziergang zu gehen. Auch wenn das manchmal Überwindung kostet.

How do you sleep at night? ...

Wie schläfst du nachts?
Wie kannst du mit hoch erhobenem Haupt herumlaufen?
Lieber Herr Präsident,
du würdest nie mit mir einen Spaziergang machen.
Oder doch?

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