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Momente mit Ewigkeitswert
Bildquelle: pixabay

Momente mit Ewigkeitswert

Sebastian Pilz
Ein Beitrag von Sebastian Pilz, Katholischer Referatsleiter Diakonische Pastoral/Seelsorge in besonderen gesellschaftlichen Herausforderungen

 „Bitte geben Sie mehr Speicherplatz frei.“ Im unpassendsten Augenblick erscheint diese Aufforderung auf meinem Handy. Denn: Ich stehe auf dem Hochberg im Allgäu und möchte meine Familie vor den schneebedeckten Bergen fotografieren. Schnell lösche ich zwei ungenutzte Apps und bereinige den Speicher. Doch es hilft nichts. Sofort meldet sich das Handy wieder. Es will eben ordentlich leergeräumt werden. Dazu müsste ich jetzt an die vielen Bilder ran. Doch für Aussortieren und Löschen habe ich in diesem Moment keine Zeit. Nach zwei Stunden Aufstieg will ich doch mit meiner Familie den schönen Ausblick genießen. Es ärgert mich gewaltig, dass mein Handy gerade jetzt streikt. Der Augenblick zum Foto kann besser nicht sein: Ohne  übliches Nörgeln der Kinder sind wir gemeinsam als Familie auf dem Gipfel angekommen. Wir picknicken zusammen auf einer Bank und genießen bei strahlend blauem Himmel das Bergpanorama. Der klare Ausblick und die gute Stimmung verlangen förmlich nach einem Familienfoto. Notgedrungen wird dann mit dem älteren Smartphone meiner Frau dieser glückliche Moment mit der Familie festgehalten. 
Szenenwechsel: Wieder ein Augenblick auf einem Berg. Doch diesmal sind nicht meine Familie oder ich die Hauptpersonen, sondern Petrus und Jesus. Der Überlieferung der Bibel nach sind die beiden zusammen mit zwei anderen Jüngern Jesu auf einem Berg[1]. Plötzlich wird Jesus von einem hellen Licht angestrahlt. Mose und Elija erscheinen und sprechen mit Jesus. In diesem Moment sagt Petrus zu Jesus: „Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija.“[2] So das Zitat aus dem Matthäusevangelium. Diese Szene von der sogenannten Verklärung Jesu wird heute, am zweiten Fastensonntag, im katholischen Gottesdienst vorgetragen.
Zwei Dinge verwundern mich an dieser Bibelstelle. Zum einen erscheinen dort Mose und Elija. Die zwei sind zum Zeitpunkt der Szene auf dem Berg schon lange gestorben. Jesus spricht da also mit zwei Toten. Und zweitens stolpere ich über die Reaktion von Petrus. Der thematisiert das Gespräch mit den Toten nämlich gar nicht. Stattdessen will er drei Hütten bauen.
Aus dieser Reaktion von Petrus frage ich mich: Entweder inszeniert der Evangelist Matthäus in dieser Bibelstelle den Petrus als völlig verwirrt. Oder aber Matthäus legt dem Petrus eine Art sprachlichen Schlüssel in den Mund, um diese Szene tiefer verstehen zu können. Dieser Sache möchte ich nachgehen und deshalb schaue ich mir das Bild der Hütten näher an.

Musik

Warum will Petrus auf dem Berg Hütten bauen? Eine mögliche Spur kommt mir in den Sinn: Zur Zeit Jesu waren alle seine Freunde, die sogenannten Jünger, jüdischen Glaubens. Die Antwort auf die Frage nach dem Hüttenbauen könnte also im Judentum liegen. Ich schaue in theologischen Büchern nach und werde fündig[3]. Tatsächlich spielt der Evangelist Matthäus an dieser Stelle auf das jüdische Laubhüttenfest an. Es ist eines von drei alten jüdischen Hauptfesten und wird noch heute im Herbst gefeiert. Das Fest hat, so die Forscher, drei Bedeutungen:

Erstens ist das Laubhüttenfest ursprünglich ein Erntefest. Die Weinbauern gehen zur Hochsaison der Ernte nicht nach Hause, sondern bauen sich Laubhütten im Weinberg. Dort schlafen sie und sparen sich so unnötige Wege. Aus dem Hüttenbauen entsteht dann eine Art jüdisches Erntedankfest. Die Bauern danken Gott für die Schöpfung und die Ernte.

Die zweite Bedeutung des Laubhüttenfestes findet sich im Alten Testament, genauer beim Auszug der Israeliten aus Ägypten: Da sind die Laubhütten ihre mobilen Wohnstätten. Täglich neu bauen die Israeliten die Hütten an einem anderen Ort auf. Die dürftigen Behausungen machen deutlich, wie sehr sich das Volk Israel in die schützende Hand Gottes gibt. An diesen Vertrauensakt sollen sich spätere Generationen erinnern und so entsteht das Laubhüttenfest[4]. Noch heute leben manche gläubige Juden in der siebentägigen Festzeit in einer Laubhütte und erinnern sich so hautnah an die Situation von damals. Mit dem Fest danken sie Gott für die damalige Befreiung und sein machtvolles Wirken.

Drittens liegt in der Bedeutung des Laubhüttenfestes die Hoffnung auf Zukunft. Es geht um die himmlische Wohnung, in der die Menschen einst bei Gott leben[5]. Laubhütten sind mobil und vergänglich. Sie symbolisieren das Leben auf der Erde, eine Art Zwischenstation. Darauf folgt, so die Hoffnung, die endgültige und feste Wohnung bei Gott.

Vor dem Hintergrund dieser drei Bedeutungen wird mir klar, was der Evangelist Matthäus mit den Worten von Petrus da im Bibeltext am heutigen Sonntag sagt. Es sind keineswegs wirre Gedanken, sondern ein dreifacher Ausdruck von Freude mit Hilfe der Bedeutungen des Laubhüttenfestes. Zunächst ist da ein indirektes Lob auf Gottes Schöpfung, denn Jesus, Petrus und die anderen stehen auf einem lichterfüllten Berg. Zweitens erinnert das Bild von den Hütten an die Geschichte der Befreiung Israels. Dass dabei Mose erkennbar wird, der einst das Volk Israel in Gottes Auftrag aus Ägypten geführt hat, leuchtet mir nun ein. Drittens steckt in dieser Bergszene ein Hoffnungsschimmer auf den Himmel. Propheten haben den in der Bibel häufig mit einer befestigten Stadt, dem himmlischen Jerusalem, beschrieben. Damit macht es für mich auch Sinn, dass Elija als ein Prophet an dieser Stelle erwähnt wird.  

Musik

Vielleicht hätte der Evangelist Matthäus heute für seine Beschreibung des Bergerlebnisses folgende Zeilen gewählt: „Ein Feuerwerk aus Endorphinen. Ein Feuerwerk zieht durch die Nacht. So viele Lichter sind geblieben. Ein Augenblick, der uns unsterblich macht, unsterblich macht.“[6] Diese Verse aus dem Song „Auf uns“ dichtet Andreas Bourani[7] nach einem frohen Abend mit Freunden. Diesen glücklichen Moment in seinem Leben will er festhalten. Deshalb schreibt er das Lied, das ihn wenig später zur Fußball-WM 2014 so berühmt macht. Bourani spürt im Augenblick mit seinen Freunden etwas, was er mit Unsterblichkeit und Ewigkeit umschreibt. Also einen „Moment, der immer bleibt“[8] wie er im Lied singt. Er bedient sich dabei Worten seiner Zeit und seinen musikalischen Fähigkeiten.
Der Evangelist Matthäus macht das in der Bibel ganz genauso: Er will auch den besonderen Moment von Jesus mit seinen Freunden auf dem Berg festhalten. Dazu wählt er die Worte seiner Zeit, eben die von den drei Laubhütten. Matthäus will deutlich machen, dass da Gott am Werk ist. Dazu erinnert er sowohl an die heilvolle Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel und als auch an die Hoffnung auf die himmlische Ewigkeit. Matthäus bringt sprachlich auf den Punkt, was auch Andreas Bourani in seinem Song deutlich macht: Es gibt Momente, die glücklich machen, die einen himmlischen Ewigkeitswert haben und die einfach unschätzbar sind.
Mein persönlicher Weg, solche Momente festzuhalten, ist das Foto. Ich mache es meist mit dem Handy. Auch wenn das, wie auf dem Berg im Allgäu, gerne mal streikt. Gott sei Dank war das Handy meiner Frau zur Stelle. So gab es vom glücklichen Augenblick mit meiner Familie doch noch ein Bild. Da oben auf dem Berg mit den Worten von Petrus im Matthäusevangelium, auch drei Hütten bauen können: Ich spürte, wie froh ich für das Geschenk dieses kostbaren Momentes war. Tatsächlich war da für meine Familie und mich so etwas von persönlicher Heilsgeschichte mit Gott erfahrbar.
Der stille digitale Protest meines Smartphones hat auch noch sein Gutes: Mir ist nun klar: Ich mache zu viele Fotos von Momenten, die keinen solchen Ewigkeitswert haben. Über 3000 Bilder finde ich auf meinem Handy, als ich nach dem Allgäu-Urlaub die Fotos auf den PC ziehe. Mühsam filtere ich aus der digitalen Bilderflut die kostbaren Augenblicke der vergangenen zwei Jahre heraus. Am Ende dieser abendfüllenden Aufräumaktion bin ich platt und frustriert. Das Feuerwerk an Endorphinen, von dem Andreas Bourani in Bezug auf die glücklichen Momente singt, ist da verflogen. Damit sich das ändert, fasse ich für die derzeitige Fastenzeit den Entschluss, „Fotos zu fasten“. Bis Ostern will ich darauf verzichten, von unwichtigen Momenten Bilder zu machen. Stattdessen möchte ich achtsamer und bewusster durchs Leben gehen. Ich will Momente suchen, die es wert sind, wie der Evangelist Matthäus schreibt, sogar drei Hütten zu bauen. Dann bin ich mir sicher: Die kostbaren Momente werden wieder in meinen Alltag strahlen. Wie ein Feuerwerk aus Endorphinen.

[1] Matthäusevangelium 17,1-9.

[2] Matthäusevangelium 17,4.

[3] Z.B. Jean Daniélou, Liturgie und Bibel. Die Symbolik der Sakramente bei den Kirchenvätern, Kösel, München 1963, S. 336 – 350.

[4] Levitikus 23,42 – 43.

[5] Lukasevangelium 16,9.

[6] Andreas Bourani, Liedtext zum Song „Auf uns“ (2014)

[7] Zusammen mit Tom Olbrich, Julius Hartog.

[8] Wie Anm. 5.

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