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Krieg und Frieden
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Krieg und Frieden

Dr. Joachim Schmidt
Ein Beitrag von Dr. Joachim Schmidt, Evangelischer Pfarrer, Darmstadt

Es ist kein rundes Jubiläum und dennoch wichtig, sich zu erinnern: Heute vor 72 Jahren endete der fürchterlichste Krieg des 20. Jahrhunderts, der Zweite Weltkrieg. Rund achtzig Millionen Tote hat er gekostet, fast so viel, wie Deutschland heute Einwohner hat. Nur noch wenige Menschen können sich noch an die Kriegs- und Nachkriegszeit erinnern, die allermeisten sind wie ich nach dem Krieg geboren. Wir kennen gar nichts Anderes als Frieden.

72 Jahre: In den letzten tausend Jahren hat es in Deutschland noch nie eine so lange Friedenszeit gegeben. Mit der Aussöhnung zwischen den angeblichen Todfeinden Deutschland und Frankreich begann das Zusammenwachsen Europas. Die Schlagbäume an vielen Grenzen verschwanden, seit 1989 auch Richtung Osten. Die Europäische Union brachte mit Zusammenarbeit und Freizügigkeit für Menschen und Handel einen ungeahnten Wohlstand für die allermeisten Menschen.

72 Jahre Frieden. Man kann fragen, womit wir so viel Glück eigentlich verdient haben. Oder man kann auch einfach nur dankbar sein. Jedenfalls ist es wichtig, sich heute daran zu erinnern. Denn als sei die Zeit davor völlig in Vergessenheit geraten, gibt es wieder Stimmen für einen neuen, blinden, rückwärtsgewandten Nationalismus. Die Grenzen sollen wieder hochgezogen werden, möglichst nur die eigenen nationalen Interessen entscheiden. Das ist genau jene Denkweise, die allein im vorigen Jahrhundert zweimal in die Katastrophe geführt hat.

72 Jahre Friedenszeit verdanken wir aber eben nicht nationalem Gehabe, sondern mühsamen und langwierigen Prozessen von Dialog und Interessensausgleich, Verständigung und Versöhnung über die Grenzen hinweg. Dass so etwas gelingen könnte, hätte nach der grausamen Vorgeschichte 1945 niemand ernsthaft erwartet.

In Großbritannien haben die Gegner des Gemeinschaftsprojekts Europa leider Erfolg gehabt, in anderen Ländern stehen Gesinnungsgenossen bereit. Und sie preisen einen amerikanischen Präsidenten, der den nationalen Egoismus seines Landes feierlich zur obersten Richtschnur für alle Entscheidungen erklärt hat: America First. Mir kommt der Gedanke bekannt vor. „Deutschland, Deutschland über alles“ hieß das bei uns noch vor 100 Jahren. Mit den bekannten Folgen.

Und tausendfach lehrt die Geschichte: Wer kompromisslos selber der Größte sein will, der wird zwangsläufig versuchen, alle anderen klein zu machen oder zu halten. Der kommt um gefährliche Kraftmeiereien nicht herum, wird anfällig für Feindschaft und Hass. Deshalb sind diese rechten Gedankenspiele in Europa heute so gefährlich. Wir sollten ihnen widerstehen.

Der Geist des Jesus von Nazareth kann dabei ungemein helfen. Wie so oft in seinen Reden hat er auch in der Frage von Groß und Klein das übliche menschliche Denken kurzerhand auf den Kopf gestellt: Als seine Jünger einmal mit einer unsinnigen Hierarchie-Debatte beschäftigt waren, sagte er zu ihnen: Wer unter euch der Größte sein will, der soll euer Diener sein. Stoff zum Nachdenken am Jahrestag unseres 72jährigen wunderbaren Friedens.

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