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Hauptsache Frieden! Wagnis eines anderen Lebens
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Hauptsache Frieden! Wagnis eines anderen Lebens

Dr. Ursula Schoen
Ein Beitrag von Dr. Ursula Schoen, Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Hauptsache Frieden! Das war ein Kernsatz meiner Großmutter. Sie schleuderte diesen Ausruf in Familienkrisen mit Verve auf den Tisch: Hauptsache Frieden! Bei diesem Schlachtruf war klar: Jetzt soll umgehend wieder Ruhe einkehren. Jetzt müssen wir mit dem Streiten aufhören, uns verständigen und Kompromisse schließen. Davon ließ meine Großmutter nicht ab.
Frieden war für meine Großmutter ein großes Wort. Sie war 1910 geboren. Sie wusste, was Krieg ist. Ihr Vater, ein Husar, war von Anfang an im Ersten Weltkrieg gewesen. 1917 starb er an einer schweren Kriegsverletzung. Den Blick ihrer Mutter, als die Nachricht kam, hat sie nie vergessen. Fröhlich hüpfte sie in das Zimmer ihrer Mutter. Ihre Mutter stand vor dem Spiegel. Langsam drehte sie sich vom Spiegel weg und schaute ihre Tochter an: Nun bin ich alt! – 27 Jahre, drei Kinder und jetzt Kriegswitwe.
Beim Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte meine Großmutter selbst drei Kinder. Sie erlebte den Überfall auf Polen wie eine Art „déjà vu“. Plötzlich war alles wieder da. Der Tod des Vaters, die Verwundeten und Verkrüppelten und die vielen Kriegswitwen und Waisen. Immer wieder hat sie mir den 1. September 1939 geschildert. Da beherrschte sie nur der eine Gedanke: Jetzt geht alles Schreckliche wieder los!
Hauptsache Frieden! Für meine Großmutter ging es dabei nicht um ein Stückchen heile Welt, ein bisschen Familienglück. Hinter diesen Worten standen schwere Lebenserfahrungen, Todesmächte, denen sie ausgeliefert war, Ohnmacht, die sie gequält hat. Der Frieden war für sie ein hohes Gut. Da konnte sie richtig missionarisch werden. Frieden bedeutete für sie ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte, Dialoge über Grenzen und Kulturen hinweg und Mitgefühl mit den Opfern.
Menschen wie meine Großmutter habe ich später in Polen, in Frankreich, Italien und Griechenland getroffen. Menschen, die aus der tiefen Überzeugung lebten, dass nie wieder Krieg sein darf und das Ringen um Verständigung vor allem anderen stehen muss. Die Gruppe dieser Zeitzeugen wird immer kleiner. Der Krieg wird auch in Deutschland heute wieder zu einem Mittel der Politik. Seine Schrecken geraten in Vergessenheit.
Friede sei mit Euch! Das sind die ersten Worte von Jesus an seine Jünger nach seiner Auferstehung. Die Jünger sind geschockt und verängstigt. Sie haben seine Kreuzigung erlebt. Jetzt erscheint ihnen Jesus als der, der die Todesmächte durchbricht. Friede sei mit Euch – kein frommer Wunsch, sondern die Ermutigung zu einem anderen Leben: Hass soll nicht mehr Hass nach sich ziehen, Gewalt nicht mehr Gewalt, Schmerz nicht mehr Schmerz. Die Jünger haben das nicht sofort verkraftet. Aber Jesus selbst ist das Zeichen und der Garant dafür: Nicht die Todesmächte, sondern das Leben siegt. Friede sei mit Euch! Mit dieser Ermutigung leben Christinnen und Christen auch heute.

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