Hannah am Empfang
Hannah sitzt immer da. Wenn ich morgens ins Büro komme, ist Hannah schon dort am Empfang des großen Bürogebäudes.
Es kam die Zeit des Home-Office. Kaum jemand betrat das Haus. Aber Hannah saß am Empfang als wäre nichts passiert. Jetzt allerdings mit Abstandsmarkierungen um den Empfangstresen herum, um Hannah zu schützen.
Aus diesem sicheren Abstand kommen wir dann doch mal ins Gespräch.
"Es ist mir so langweilig", klagt sie. "Nicht nur, dass kaum jemand rein oder rausgeht. Irgendwie ruft auch keiner mehr an."
Ich erinnere mich, was für ein Trubel normalerweise dort am Empfang herrschte. Dauernd Telefon. Besucher, die einen Raum suchen. Andere brauchen einen Schlüssel und wieder andere fragen nach dem Weg zum Bahnhof, oder wie sie ins Parkhaus gelangen und ob das Auto über Nacht dort stehen bleiben kann.
"Manchmal weiß ich gar nicht, was ich hier noch soll." Die Verzweiflung ist ihr anzusehen und mir fällt auf Anhieb auch keine kluge oder vielleicht ja sogar tröstliche Antwort ein. Und dann höre ich mich sagen: "Ach Hannah, wissen Sie, mir tut es jedes Mal gut, wenn ich sie hier sehe. Ich weiß auch nicht genau, warum. Aber es tut mir einfach gut."
„Das hat sowas Normales“ meint sie – Sie bringt auf den Punkt, was ich meine. „Ja, das ist es!“ antwortete ich ihr. „Wenn ich sie hier sitzen sehe, gibt es mir das Gefühl, dass alles doch irgendwie in Ordnung ist. Auch wenn ich natürlich weiß, dass nicht alles in Ordnung ist. Unterschätzen sie nicht, dass sie hier sitzen. Das ist wichtig! Und ich danke Ihnen dafür.“
Für mich ist Hannah systemrelevant. In dieser außergewöhnlichen Situation habe ich ihren Wert schätzen gelernt. Ich nehme mir vor, auch in gewöhnlichen Situationen, Menschen mehr wert zu schätzen.
