Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Gute Aussichten
Bildquelle: Gerhard Gellinger/Pixabay

Gute Aussichten

Claudia Rudolff
Ein Beitrag von Claudia Rudolff, Rundfunkpfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel
Beitrag anhören:

Ich gebe es zu: Auch mit 57 Jahren habe ich immer noch Freude daran, jeden Morgen in der Adventszeit ein Türchen zu öffnen.

Ein geheimnisvolles Türchen am Adventskalender! Ein schöner Brauch in der Adventszeit.

Und es sind keineswegs nur Kinder, die sich in diesen Wochen jeden Morgen auf die Überraschung in ihrem Adventskalender freuen.

Heute Morgen ist wieder ein Stück meiner Lieblingsschokolade rausgepurzelt. Ich liebe Adventskalender mit Süßigkeiten. Bei anderen Kalendern verstecken sich hinter den Türchen schöne Bilder und sinnige Sprüche. Was immer diese kleinen Türen verbergen, es soll Freude machen.

Vielleicht sind Adventskalender deshalb so beliebt, weil sie so ganz anders sind als das wirkliche Leben: Da bleiben die Türen nämlich hin und wieder verschlossen.

Manchmal aus verständlichen Gründen.

Unsere Kinder warnen wir: Wenn wir nicht da sind, macht bitte niemandem die Tür auf"! Leider ist das heutzutage notwendig. Es könnte doch sein, dass es jemand ausnutzt, wenn die Kinder sagen, ,,unsere Eltern sind nicht daheim."

Vorbei die Zeiten, in denen auf den Dörfern die Türen vieler Häuser nicht verschlossen wurden. Die Nachbarn sind einfach mal so auf ein Schwätzchen reingekommen. Die Tür ist genauso leicht aufgegangen wie beim Adventskalender.

Manche stehen vor einer verschlossenen Tür, klingeln, weil sie dringend Rat oder Unterstützung brauchen. Aber die Tür öffnet sich nicht: niemand da.

Oder noch tragischer: Manche Menschen haben es selbst verschuldet, dass eine Tür sich nicht mehr öffnet. Sie haben jemanden belogen und sein oder ihr Vertrauen missbraucht. Das hat so wehgetan, dass dieser Mensch nichts mehr mit ihnen zu tun haben will.

Vielleicht macht es wegen solcher Erfahrungen besonderen Spaß, diese kleinen Türen am Adventskalender zu öffnen. Da lauert keine böse Überraschung.

Für mich ist eine offene Tür ein Zeichen für gute Aussichten.Und jede und jeder weiß aus eigener Erfahrung: Wir sind auf offene Türen angewiesen.

Schon in der Sprechstunde eines Arztes spüren Patienten, wie ein Stück ihres Lebens vom Durchgang durch die Tür abhängt.Sie vertrauen darauf, dass der Arzt ihnen hilft: Es tut ihnen gut, nicht zwischen „Tür und Angel“ abgefertigt zu werden.

Manchmal klopfe ich zaghaft an die Tür meiner Kollegin, weil ich einen Rat brauche. Ich will sie nicht von der Arbeit abhalten und entschuldige mich gleich: „Ich will nicht lang stören, nur mal kurz was fragen...“

Schön, wenn sie dann antwortet: „Du störst nicht, komm einfach rein, setz dich, ich habe Zeit."

Eine offene Tür ist ein Zeichen für gute Aussichten.

Eine offene Tür ist ein Zeichen für gute Aussichten- nicht nur beim Adventskalender. Vielleicht ist deshalb das Adventslied "Macht hoch die Tür", mit der Nummer 1 in unserem Gesangbuch, so beliebt.

Pfarrer Georg Weißel dichtete dieses Lied 1642. Die eingängige Melodie ist erst anderthalb Jahre später dazu gekommen.

Es wird gern gesungen, gern gehört und ist sehr bekannt. Eine erfrischende Melodie, ein schöner Text: Man singt von offenen Türen und Toren. Das klingt einladend und freudig.

Das Lied lehnt sich an Psalm 24 im Alten Testament an. Und dieser Psalm nimmt folgende Situation auf: Am Jerusalemer Tempel gibt es einen feierlichen Ritus, um einzutreten. Menschen kommen oft von weit her, um Gott im Tempel anzubeten. Doch vor den Toren des Tempels stehen Tempelwächter und passen auf, dass kein Unbefugter den Tempel betritt.

Die Menschen, die Einlass begehren, müssen sich als würdig erweisen. Und dafür folgendes Ritual kennen: Sie rufen vor den Toren des Tempels: ,,Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!"

Aber nicht jeder, der kommt, selbst wenn er König ist, darf in den Tempel. Darum fragen die Tempelwärter zurück: ,,Wer ist der König der Ehre?" Dann müssen sie antworten: ,,Es ist Gott, der Herr Zebaoth; er ist der König der Ehre." (Ps 24,7 ff.)

Dann öffnen sich die Tempelpforten als Zeichen, dass die Menschen bei Gott willkommen sind. Diese Szene einer großen, feierlichen Liturgie überträgt dieses Lied in mein Leben: ,,0, komm du Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist" So heißt es im 5. Vers des Liedes.

Mein Herz wird zum Tempel und Jesus Christus zieht ein. Auch das ist eine gute Aussicht:

Ich öffne eine Tür, damit jemand eintreten kann.

Dort, wo Menschen Jesus Christus und seinen Geboten die Herzenstür öffnen, da beginnt sich etwas zu verändern. Da rechne ich mit seiner Gegenwart in meinem Leben. Besondere Erlebnisse lassen mich innehalten zeigen mir:

Mein Leben und das was ich erreicht habe, verdanke ich nicht nur mir.

Wenn ich Jesus Christus meine Herzenstür öffne, fühle ich mich wertgeschätzt und geliebt. Das verändert auch meinen Blickwinkel: Andere Menschen und ihre Bedürfnisse nehme ich wieder wahr.

Hinter den kleinen Türen meines Adventskalenders verbirgt sich nie eine böse Überraschung. Seine offenen Türen sind immer ein Zeichen für gute Aussichten.

Ich denke an Menschen, die anderen die Tür öffnen, um ihnen Freude zu bereiten:

Da ist die Großmutter, die ihr Enkelkind einfach umarmt, wenn es traurig aus der Schule kommt. Die hilft, Vokabeln zu lernen, auch wenn sie gar kein Englisch kann. Die zuhört und tröstet, wenn Mama und Papa im Stress sind. Da ist eine Erzieherin im Kindergarten. Sie sieht nicht schweigend zu, wenn ein Kind regelmäßig blaue Flecken hat. Die Erzieherin hat den Mut, etwas zu sagen. Sorgt für Hilfe.

Da sind andere, die mutig aufstehen gegen Fremdenhass und Sozialneid, obwohl sie selbst nicht viel haben.

Die, die Deutschkurse geben, auch wenn es manchmal schwer ist.

Die, die ihre neuen Nachbarn freundlich ansprechen, auch wenn vieles fremd ist.  

Von solchen Beispielen lasse ich mich ermutigen.

Ich möchte nicht nur am Adventskalender mit Freude Türen öffnen, sondern auch fröhlich das Lied „Macht hoch die Tür“ mitsingen. Und besonders in diesen Vers einstimmen: „Komm, o mein Heiland Jesu Christ, mein Herzenstür Dir offen ist“. 

Und möge seine Liebe und sein Handeln mich ermutigen, auch anderen eine Tür zu öffnen: Freunden, die auf meinen Rat warten. Menschen, die sich wünschen, dass ich mir einfach mal wieder Zeit nehme.

Vielleicht erinnern sich manche in dieser Adventszeit auch an eine Tür, die sie selbst vor einiger Zeit zugeschlagen haben. Vielleicht wartet jemand auf eine längst fällige Entschuldigung.

Es hat keinen Sinn Streit unter den Teppich zu kehren. Die Zeit macht nichts besser, Abneigung frisst sich fest.

Oder jemand wartet darauf, dass Sie einen Schritt auf ihn zugehen und ihm vergeben.

Eine offene Tür ist ein Zeichen für gute Aussichten."

Das gilt für den Adventskalender und für unser Leben

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren