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Draußen ist alles schon dunkel
Bild: StockSnap/Pixabay

Draußen ist alles schon dunkel

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Er ist zu spät, merkt Alex. Zwanzig Minuten bis zum Zug. Zu dem Zug, der ihn zur Freundin bringt. Er hat eine Fernbeziehung seit drei Jahren. Er in Frankfurt, sie in München. Ging gut die Jahre. Dann großer Ärger, vor fünf Wochen. Laute Worte, noch lautere Worte, Vorwürfe. Das volle Programm. Bis sie sagt: Es ist besser, Du fährst jetzt.

Fünf Wochen Schweigen seitdem, denkt Alex, während er im Bus zum Bahnhof sitzt. Ihm fiel nichts ein, wochenlang. Der Bus steht an der Ampel. Alex ist nervös. Noch sechs Minuten. Vor drei Tagen hat sie angerufen. Ich bin’s, hat sie gesagt. Alex‘ Herz hüpft. Er sagt etwas von Arbeit und so. Dann die Erlösung. Sie sagt: Ich vermisse Dich; lass uns reden. Ja, sagt Alex, bin schon auf dem Weg. Der Weg ist heute. Und er ist zu spät. Der Bus hält am Bahnhof. Alex springt raus. Jetzt fährt der Zug, denkt er und rennt. Das darf nicht wahr sein, schimpft er sich. Die Liebste ruft, und ich verpasse den Zug. Er muss weit laufen, um viele Menschen herum. Das Gleis hinten links. Alex wundert sich über die vielen Menschen am Bahnsteig. Bis er merkt: er ist zu früh. Sein Zug hat Verspätung.

Ein Geschenk, denkt er, als er im Zug sitzt und sich beruhigt hat. Draußen ist alles schon dunkel. Er schaut aufs Fenster. Sein Gesicht spiegelt sich darin. Er holt eine Flasche aus seiner Tasche und trinkt. Jemand will wohl, dass du ankommst, sagt er zu seinem Spiegelbild und wird müde. Gnade ist, wenn man mehr Glück hat als Verstand, denkt er. Dann fallen ihm die Augen zu.

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