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Bitte keine Geschenke!

Bitte keine Geschenke!

Dr. Ursula Schoen
Ein Beitrag von Dr. Ursula Schoen, Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Bitte keine Geschenke! Der knappe Satz steht auf einer Einladung zum 60. Geburtstag. Die Botschaft ist nachvollziehbar: Wir haben alles, was wir brauchen. Nein, es fehlt uns an nichts. Wie vernünftig, denke ich zuerst. Unsere Wohnungen sind in der Tat mit allem ausgestattet. Das sind selbstbewusste Menschen, die so sprechen. Sie wissen, wenn wir tatsächlich einmal etwas brauchen, können wir es uns jederzeit kaufen.

Vielleicht ist das bei so einem Geburtstag ja sinnvoll, keine Geschenke. Aber als Lebenshaltung finde ich es fatal. Ich stelle die Gegenfrage: Wenn Du prinzipiell nichts geschenkt bekommen möchtest, was möchtest Du denn dann? Ist es das: Alles, was Du hast, selbst verdienen und erarbeiten. Für alles, was Du erhältst, selbst den Kopf hin halten und die eigene Lebenskraft einsetzen. Keine Abhängigkeiten und Verpflichtungen schaffen. Denn wer mir nichts schenkt, dem muss ich auch nichts schenken.

Die Bibel spricht vom Menschen als einem „Geschöpf“ Gottes! Durch Gottes Hand ist der Menschen geworden. Dass wir das Leben bekommen haben, ist nicht unser Verdienst. Auch wenn natürlich fairer Lohn für geleistete Arbeit wichtig ist. Trotzdem gilt: Wir werden durch andere, was wir sind. Durch ihre Zuwendung, ihr Vertrauen Durch Gott und Menschen vor uns und an unserer Seite.

Ein türkischer Journalist erzählt aus seiner Schulzeit im Hunsrück: Seine Familie war in den achtziger Jahren dort zugezogen und blieb in der neuen Umgebung lange isoliert. Nach einiger Zeit vertraute die Lehrerin ihm, dem Grundschüler, die Verantwortung für den Kartenraum an. Er hatte den Schlüssel immer bei sich und musste den Raum regelmäßig auf- und zuschließen. Und schließlich sagt er: Dieser Schlüssel war der eigentliche Beginn meines Lebens in Deutschland! Mir hat jemand Vertrauen geschenkt.

Soweit der Journalist. Mir geht es so: Je älter ich werde, umso mehr nehme ich wahr: Mein Leben wird nicht durch das getragen, was ich verdient habe. Es wird getragen durch das, was ich nicht verdient habe. Was andere mir aus Liebe oder aus Freundschaft einfach geschenkt haben: Zeit und Aufmerksamkeit, aber auch so große Dinge wie Vergebung. Wenn ich die Spuren meines Lebens zurückverfolge, wenn ich an die Knotenpunkte komme, wo ich in dieser Weise beschenkt wurde – unverdient und überraschend, dann spüre ich große Dankbarkeit in mir aufkommen. Auf diese Geschenke möchte ich nicht verzichten,

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