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Von der Sehnsucht nach den Engeln
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Von der Sehnsucht nach den Engeln

Claudia Rudolff
Ein Beitrag von Claudia Rudolff, Rundfunkpfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel
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„Wenn wir auch ihre Existenz leugnen möchten, sie lassen sich nicht zum Nichts er­klären. Wenn auch unser Verstand sie verdrängt, in unseren Gefühlen, in unserer Sehnsucht sind sie sehr lebendig.”

Vielleicht ahnen Sie, von wem in dem Zitat von Uwe Seidel die Rede ist: Von den Engeln. In unserem Kulturkreis ist immer von Engeln geredet oder mit Engeln gelebt worden. Es gab Zeiten, in denen Theologen und Rationalisten sie verbannt haben, wie im Mittelalter oder in Zeiten der Aufklärung. Dennoch nahmen Künstler in Bil­dern, in der Literatur und in der Musik; das Gespräch mit den Engeln immer wieder auf.

In den letzten Jahren kann man von einer Wiederentdeckung der Engel sprechen - Nicht nur zur Weihnachtszeit.

Wir merken es selbst in unserer Alltagssprache. Auch Menschen, die mit Religion nichts im Sinn haben, reden von den Engeln:

Denken wir nur an die Redewendungen: „Du bist ein Engel“, wenn jemand mir über­raschend geholfen hat. Oder „da hatte ich einen Schutzengel“, wenn ich auf wun­dersame Weise vor Schaden bewahrt wurde.

Engel sind für viele Menschen Botschafter einer anderen tieferen Wirklichkeit. Die Vorstellungen, die viele mit ihnen verbinden, sind kostbare Bilder, einer Sehnsucht nach einer anderen Welt der Geborgenheit und Leichtigkeit.

Deshalb entscheiden sich viele Eltern für den Taufspruch aus dem 91. Psalm: „Denn Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf all deinen Wegen, dass sie dich auf Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einem Stein stoßest.“ (Ps91,11f)

Engel wecken schon immer die Sehnsucht und den Wunsch in uns Menschen, be­gleitet und bewahrt zu werden, gerade zu Beginn des neuen Jahres, wenn wir pla­nen und hoffen, dass es ein gutes und behütetes Jahr wird.

Aber: Wie kann ich mir nun einen Engel vorstellen, der mit mir durchs neue Jahr geht?

Musik 1  J.S. Bach, „Bleibt, ihr Engel, bleibt bei mir“ BWV 19, Nr. 5  1'40''

In der Bibel finde ich unterschiedliche Vorstellungen: Nach einer Erzählung im Buch Jesaja im Alten Testament gehören die Engel zum Hofstatt Gottes. Beim Propheten Jesaja wird ein Blick in den Himmel gewährt. Jesaja schreibt: „Und ich sah den Herrn sitzen auf einem Thron und sein Saum füllte den Tempel. Engel standen über ihm: Ein jeder hatte sechs Flügel. Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum anderen: Heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll“. (Jes 6, 1-3)

Hier werden Engel als Throndiener Gottes beschreiben. Sie sollen Gottes Macht unterstreichen. Man bezeichnet solche Engel auch als Serafen und diese geflügelten Wesen gehören in vielen Religionen zum Hofstaat Gottes.

In allen Religionen haben sie die gleiche Funktion: Sie sollen zwischen Menschen und höheren Mächten vermitteln, den höheren Mächten dienstbar sein und uns Vorbilder bei Lob und Anbetung sein.

Einerseits finde ich diese Thronvision ein schönes Bild. Aber es sind nicht die Engel, nach denen ich mich sehne - Engel, die bei mir sind, mich behüten und bewahren.

Von solchen Engeln, die Menschen bewahren, begleiten oder auch warnen, gibt es auch einige Erzählungen in der Bibel. Allein schon die Weihnachtsgeschichte berich­tet an mehreren Stellen vom segensreichen Wirken der Engel. Ich denke an den Engel, der zu Maria kommt und ihr sagt: „Du wirst gebraucht. Du sollst Gottes Sohn Jesus zur Welt bringen“. Oder an den Engel, der Josef warnt: „Flüchte nach Ägypten und bring Maria, das Kind und Dich in Sicherheit vor dem König Herodes. Oder der Engel, der den Hirten auf dem Feld in Bethlehem mitten in ihrem Alltag zusagt: „Fürchte Euch nicht. Ich verkündige euch große Freude. Gott hat Euch lieb. Seid zu­versichtlich.“

Wunderbare Geschichten, dass Gott seine Boten schickt. Für mich ist aber die schönste Engelgeschichte, die vom Propheten Elia unterm Strauch(1.Kön 19,1-8). Dort ist von einem Engel die Rede, wie ich ihn mir wünsche: Die Geschichte geht so: Elia ist ein Prophet. Gott gibt ihm den Auftrag, die Menschen wachzurütteln und nach seinen Geboten zu leben. Den Geboten Jahwes, des Gottes Israels. Andere Götter sollen sie nicht anbeten.

Die Königin Isebel und ihre Priester verehren jedoch den Gott Baal. Das kritisiert und verurteilt Elia und es kommt zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Königin Isebel will Elia umbringen lassen. Elia läuft um sein Leben. Voller Angst flieht er Hals über Kopf in die Wüste. Er ist verzweifelt. Er hat alles gegeben, was man als Mensch nur tun kann, um andere zu Gott zu führen. Einen ganzen Tag lang läuft er, bis es nicht mehr geht. Dann wirft er sich unter einen Strauch und klagt zu Gott: “ Gott, ich hab mich für dich abgerackert. Ich bin um mein Leben gelaufen und was nun? Ich habe hier nur einen dürftigen Wacholderstrauch, der mir keinen Schatten spendet. Nichts zu trinken, nichts zu essen. Und dass Schlimmste: Du hast mich verlassen. Warum stehst du mir nicht bei in dieser schweren Zeit?“ So klagt Elia.

Ein Mann Gottes am Ende. Ganz unten. Nur noch einen Wunsch hat er: Zu sterben. Elia fällt in eine tiefe Depression. „Nur der Schlaf verhindert Schlimmeres.

Musik 2  F. Mendelssohn, „Es ist genug“ aus „Elias“ op. 70  1'40''

Aber Gott überlässt Elia nicht sich selbst. Er schickt einen Engel zu ihm. Der Engel rührt Elia an und er sagt zu ihm: „Steh auf und iss!“
Elia sieht das Brot und das Wasser, das der Engel ihm hingestellt hat.

Er isst und trinkt und legt sich wieder schlafen. Da kommt der Engel ein zweites Mal. Wieder rührt er Elia an. Er spricht zu ihm: „Steh auf und iss, denn du hast einen wei­ten Weg vor dir“. Gott hat also einen Auftrag für Elia und überlässt ihn nicht seinem Schicksal. Gott ist nicht der Meinung, dass Elias Leben ein Ende haben soll. Es bleibt offen, was Gott mit ihm noch vor hat. Es heißt nur: „Du hast noch einen langen Weg vor dir.“ Aber Elia reicht das. Er isst und trinkt und steht auf. Gestärkt geht er los. Elia spürt, dass er wieder Kraft hat und neuen Lebensmut.

So gibt es noch viele Geschichten, wo Gott Menschen seine Boten schickt. Den meis­ten Geschichten ist das gemeinsam: Der Engel begegnet den Menschen mitten in ihrem Alltag, so wie Elia in der Wüste beim Schlafen. Und immer wird erst im Nach­hinein erkannt: Gott hat mir einen Engel geschickt. Der Engel wird erkannt an seiner Botschaft, die er von Gott überbringt. Denen, die die Botschaft empfangen, wächst Kraft zu, sie schöpfen neuen Mut, sie sehen wieder ein Licht am Ende des Tunnels: “Steh auf - du hast einen langen Weg vor dir.“ - es ist nicht das Ende!

Und dabei spielt das Aussehen des Engels keine Rolle, meist wird er sogar für einen Menschen gehalten. Auch in der Erzählung von Elia unterm Strauch, wird kein Wort über das Aussehen des Engels verloren.

Warum stellen wir uns dann Engel mit Flügeln und weißem Gewand vor? Ich glaube: Es ist eine Vorstellung, die den Engeln im Laufe der Überlieferungen zugewachsen ist.

Mit der Zeit setzte sich der Begriff Engel für die verschiedenen Gruppen von Engeln durch. Es wurde nicht mehr zwischen Engeln, die Menschen als Boten Gottes be­gegnen und Engeln als Throndiener unterscheiden. Und alle Engel erhielten Flügel. Die Flügel wurden sozusagen die Uniform der Engel. Die Flügel wollen anschaulich machen, dass die Engel nicht an Raum und Zeit gebunden sind. In einem Augenblick erscheinen sie und helfen und im nächsten sind sie wieder verschwunden. Weil sie fliegen können, können sie den Abstand zwischen Gott und Mensch überwinden und uns schnell zu Hilfe eilen. Auch das weiße Gewand wurde mit der Zeit zur Uni­form der Engel. Jahrhundertelang wurden Engel in der Kunst so dargestellt. Es hat sich eingeprägt. Das weiße Gewand hat in diesen Darstellungen nur die Funktion, auf Gottes Herrlichkeit zu weisen und so auszudrücken: Der Engel kommt in Gottes Namen.

Musik 3  F. Mendelssohn, „Hebe deine Augen auf“ aus „Elias op. 70  1'41''

An vielen Stellen der Bibel wird deutlich, dass nicht seine Gestalt und sein Aussehen jemanden zu einem Engel machen, sondern seine Botschaft. Insofern gehören zum Wesen des Engels nicht die Flügel. Und auch nicht das weiße Kleid als Erkennungs­zeichen.

Allen biblischen Geschichten von Engeln ist vor allem wichtig, zu erzählen: Engel überbringen den Menschen eine Botschaft von Gott. Im Unterschied zu den abend­ländischen Engelvorstellungen und solchen in anderen Bereichen des alten Orients, ist die hebräische Bibel nicht sehr am Aussehen der Engel interessiert. Von daher ist es verständlich, dass der alttestamentliche Theologe Claus Westermann seinem Engelbuch den Titel gibt: „Gottes Engel brauchen keine Flügel“.  Ebenso betont der christliche Glaube, dass wir zwischen Gott und den Engeln unterscheiden sollen. Nur Gott sollen wir verehren und loben und anbeten. Nicht seine Boten! Claus Wester­mann fasst es so zusammen:

„Der Engel kommt ins Sein mit seinem Auftrag, er vergeht mit der Erfüllung seines Auftrags denn seine Existenz ist Botschaft.”

Das ist für mich der zentrale Satz über das Wesen der Engel: Er ist ein Bote.

Darauf möchte ich hoffen und bei all meinen Plänen im neuen Jahr vertrauen: Gott begleitet und behütet mich, indem er mir in seinem Namen Boten schickt. Boten, die mich warnen oder mich ermutigen, die mir wieder neue Wege weisen, so wie bei Elia, wenn ich nicht weiter weiß.

Es wäre doch wunderbar, wenn es für uns auch so einfach wäre, dass da einer kommt und stärkt, wenn wir nicht mehr weiter wissen? Manchmal können mich Wasser und Brot stärken, ein anderes Mal ein offenes Ohr, ein Gespräch oder ein­fach, dass mich jemand wahrnimmt und anschaut.

Solche Erlebnisse schenken mir neuen Mut.

Gottes Boten können mir dabei in einem Menschen aus Fleisch und Blut begegnen. Ich denke an Freunde, die meinen Mann besucht und versorgt haben, als er uner­wartet ins Krankenhaus musste und ich mit den Kindern in Amerika war. Menschen, die anderen in Not unerwartet zur Seite springen oder eine Hilfe zuteil werden las­sen, die nicht alltäglich ist. Eben Menschen und Dinge, die ihnen zeigen: Gott ist bei euch.

Musik 4  F. Mendelssohn, „Sei stille dem Herrn“ aus „Elias“ op. 70  2'45''

Das gehört zur tiefen Wahrheit der Engel: Sie zeigen uns, dass unser Leben mehr ist, als das was uns vor Augen ist. Dass es auf anderes verweist. Ich kann z.B. nicht erklä­ren, warum ich in einer heiklen Situation auf der Autobahn entgegen meinem Natu­rell blitzschnell reagiert habe und so vor einem schweren Unfall bewahrt wurde. Manchmal kann man nicht erklären, wieso jemand, hingegen aller medizinischen Erkenntnissen, geheilt wurde. Deshalb möchte ich nicht auf die Rede von den Engeln verzichten. Sie stehen für mich für Vertrauen und geborgen sein bei Gott. Sie ver­weisen darauf, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als ich mit meinem Verstand erfassen kann.

Die „himmlischen” Bilder haben eine eigene Mächtigkeit. Daher dürfen wir getrost die Sprache der Bilder benutzen, um Gottes helfendes Tun zu beschreiben.

Engel sind Wegbegleiter, wie es der Theologe Claus Westermann sagt:

„Die Engel, von denen die Bibel spricht, sind die unübersehbare Tatsache, dass wir Menschen auf unserer Erde, auf den Wegen unserer Erde und in den Häusern, die wir gebaut haben, nicht allein bleiben, sondern besucht werden“.

Und so nehme ich mir für das neue Jahr vor: Offen zu bleiben für Gottes Wirken durch seine Boten. Es mir auch gefallen zu lassen wie Elia, wenn da einer kommt und mich stärkt. Dankbar anzunehmen, wenn mir jemand unter die Arme greift und nicht zu meinen: Ich muss alles allein machen, auch wenn ich schon aus dem letzten Loch pfeife.

Und ich will offen bleiben, um mich gebrauchen zu lassen. Ob mich jemand als Engel bezeichnet oder erkennt, habe ich nicht in der Hand. Aber ich will aufmerksam sein für die, die mich brauchen.

Darauf vertraue ich: Gott schickt seine Engel auch zu uns. Engel kommen zu uns in meist alltäglichen Situationen, ob nun jemand gerade arbeitet, feiert, faulenzt oder schläft.

Und um mich in diesem Vertrauen einzuüben und damit durch das neue Jahr zu gehen, stelle ich mir einen bronzenen Engel auf meinem Schreibtisch und möchte jeden Tag mit Luthers Morgensegen in diesem Jahr beginnen:

„Ich befehle mich, meinen Leib und meine Seele und alles in deine Hände. Dein heili­ger Engel sei mit mir, damit der böse Feind keine Macht an mir finde.

Und so wünsche ich es auch Ihnen: Gottes Engel sei mit Ihnen im neuen Jahr, so dass widrige Umstände Sie nicht mutlos machen und Menschen, die ihnen böse wollen, keine Macht über sie bekommen.

Gottes Engel behüte Sie vor aller Gefahr und sei mit ihnen auf ihren Wegen.

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