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Obdachlos
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Obdachlos

Christoph Wildfang
Ein Beitrag von Christoph Wildfang, Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain

Morgens um halb sechs wache ich auf. Tritte an meiner Haustür. Jemand tritt mit Wucht dagegen. Ich renne zur Tür, mache sie auf. Schaue mir erst mal mit einem Kontrollblick die Tür an. Dann den Mann, der vor mir steht. „Hunger!“ sagt er. Meine Laune ist im Keller. Wir schauen uns an. Ich würde ihm gerne einen Vortrag halten. Über seinen Umgang mit der Tür. Wo er als Obdachloser doch besser hingehen kann. Dass er woanders kompetent versorgt wird. Dass es dort sogar Geld und Beratung gibt.

Ich schaue ihn von unten nach oben an. Zerlumpte Kleidung. Vollbart seit vielen Wochen. Ich spare mir meinen Vortrag und kurze Zeit danach sitzt er in meiner Küche. Er erzählt zuerst nichts. Dieses eine Wort an der Tür: Hunger. Ich kenne Hunger eigentlich nicht wirklich. Ich koche Kaffee für uns beide und stelle ihm einen Pott Kaffee hin. Doch seine Hände zittern so, dass er die Tasse nicht anheben kann. Ich schiebe ihm einen Strohhalm in die Tasse. Er beugt sich so, dass er den Kaffee trinken kann. Ich mache ihm ein paar Brote. und schaue ihm beim Essen zu. Er haut sich’s rein. Eben wie einer, der länger nichts mehr hatte. Ich esse nun auch. Wir beide an einem Tisch.

Seine Hände zittern weiter. Die Wurst fliegt runter, der Käse auch. Er rafft es vom Tisch und isst alles. Jeden Krümel. Nach einem Glas Schnaps entspannen sich seine Hände. Er beginnt zu erzählen. Wo er geschlafen hat. Unter Apfelbäumen. Ob ich schon mal unter Apfelbäumen geschlafen habe, fragt er. Und erzählt, wie schön das ist. „Eigentlich wollte ich auch mit jemandem reden,“ sagt er. „Immer allein auf Achse.“ Ich nicke. Er isst und isst und ich höre zu. Er erzählt von der großen Freiheit, von der er nicht lassen kann. Aber auch von viel Scheitern in seinem bisherigen Leben. Von Schwierigkeiten mit Regeln. Die Worte purzeln und holpern und für mich ist es wie Fernsehen im Kopf. „Eine Nacht unter einem Apfelbaum, das wünsche ich Ihnen!“ Mit einem Ruck steht er auf, nickt wie zum Dank und geht. Und lässt mich nachdenklich und nicht mehr übel gelaunt zurück.
 

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