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Hybris und Demut
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Hybris und Demut

Dr. Klaus Dorn
Ein Beitrag von Dr. Klaus Dorn, em. Dozent am Kath.-Theol. Seminar, Marburg
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"Wann treffen wir drei wieder zusamm'?
Um die siebte Stund', am Brückendamm.
Am Mittelpfeiler.
Ich lösche die Flamm'.
Ich mit.
Ich komme vom Norden her.
Und ich von Süden.
Und ich vom Meer.
Hei, das gibt ein Ringelreihn,
und die Brücke muss in den Grund hinein.
Und der Zug, der in die Brücke tritt
um die siebte Stund'?
Ei, der muss mit.
Muss mit.
Tand, Tand,
ist das Gebilde von Menschenhand."1

Diese Ballade, in der weitere Strophen folgen, schrieb Theodor Fontane am 28. Dezember 1879 aus einem aktuellen Anlass: Unter einem Zug brach die Firth of Tay Brücke ein. Das Geschehen wurde als das Unglück von Dundee bekannt. Ca. 75 Menschen kamen zu Tode, Überlebende gab es keine.

Wer sich da in Fontanes Ballade verabredet, um die Brücke zum Einsturz zu bringen und den Zug in den Abgrund zu reißen, geht aus dem Gedicht nicht hervor. Es wird behauptet, Fontane habe hier an drei Hexen gedacht, möglich wären freilich auch drei Stürme aus verschiedenen Himmelsrichtungen, die es in der Realität so nur selten geben dürfte. Beim Bau der Brücke ist einiges völlig schiefgelaufen: Getrieben von der Goldgräberstimmung des 19. Jh. kam es beim Einsturz zu einer Verkettung mehrerer Umstände: Die Windlast war zu gering berechnet, aus Zeit- und Geldgründen wurden die Pfeiler nicht ordnungsgemäß ausgeführt und eigentlich geplante Streben und Verstärkungen wurden einfach weggelassen. In dieser Zeit wetteiferten kühne Ideen der Ingenieure und neue Methoden der Eisenverarbeitung miteinander.

10 Jahre nach diesem Unglück von Dundee, wurde in Paris der Eifelturm fertiggestellt. Es entstanden Wege und Brücken, die man wenige Jahrzehnte davor als technisch nicht machbar bezeichnet hatte. Die Brücke über den Fluss Tay an seiner Mündung ins Meer war mit drei Kilometern die längste ihrer Zeit. Natürlich gab es, wie auch beim Bau des Eifelturmes Stimmen, die davor warnten, derartige Gebäude zu errichten. Man hatte Zweifel an der Konstruktion: zu groß, zu schwer, nicht machbar, nicht sicher genug, und vielleicht erinnerte der eine oder andere Kritiker auch an den Turmbau zu Babel und beklagte die menschliche Vermessenheit. In diese Richtung weist auch das Gedicht von Fontane: Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand. Es hat den Naturgewalten nicht Stand gehalten, jenen Kräften, die wir vermutlich niemals völlig in den Griff bekommen werden. Natürlich lässt sich heute vieles berechnen, durch Simulationen vorab darstellen und testen. Aber immer wieder gibt es Ereignisse, die alle Vorhersagen ins Leere laufen lassen. Vielleicht muss nicht alles, was man theoretisch kann, auch umgesetzt werden. Ein bisschen mehr Demut wäre sicher kein schlechter Schutz vor unserer menschlichen Vermessenheit. Denn auch sie ist nur Tand.

1 Theodor Fontane,  Die Brücke am Tay - Deutsche Lyrik (8.4.2021)

 

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