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Die Bibel und die Fibel
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Die Bibel und die Fibel

Heidrun Dörken
Ein Beitrag von Heidrun Dörken, Evangelische Pfarrerin, Senderbeauftragte für den Hessischen Rundfunk

Was ist das Erfolgsgeheimnis der Finnen? Immer wieder kriegen sie Bestnoten für ihr Bildungswesen. Dafür mag es viele Gründe geben. Neu war für mich ein Grund, den nun ein Neurobiologe herausgefunden hat : Sie haben Achtung und Respekt vor ihren Lehrern. Das Gehirn eines Menschen kann viel besser lernen und behalten, wenn der Mensch Achtung hat vor dem Lehrer oder der Lehrerin. Und das haben die Finnen offenbar. Sie verehren den Ahnherrn ihrer Lehrer sogar mit einem eigenen Gedenktag. Dieser Ahnherr heißt Mikael Agricola und war im sechzehnten Jahrhundert der Reformator Finnlands . Er hat nicht nur den evangelischen Glauben gebracht, er gilt auch als Begründer der finnischen Literatursprache.

Mikael Agricola studierte in Wittenberg bei Martin Luther. Begeistert teilt Agricola die Idee der Reformation, wonach jeder Gottes Wort in seiner Muttersprache hören und verstehen soll. Luther übersetzte dafür fünfzehnhunderteinundzwanzig auf der Wartburg das Neue Testament ins Deutsche und später auch das Alte Testament. Gut zwanzig Jahre später tat es Agricola ihm gleich. Er übertrug das Neue Testament und die Psalmen ins Finnische . Doch viele seiner finnischen Landsleute waren Analphabeten. Was nützt die schönste Bibelübersetzung, wenn kaum einer sie lesen kann? So schuf Agricola nach der ersten finnischen Bibel auch die erste finnische Fibel. Mit diesem ABC-Buch lernte dann ganz Finnland Lesen und Schreiben.

Eigentlich wussten die Humanisten schon vor der Reformation: Lesen ist eine Schlüsselqualifikation. Doch für die Reformatoren kam ein entscheidendes Motiv hinzu: Lesen ist eine Schlüsselqualifikation des Glaubens! Als Quelle des Glaubens sollte die Bibel für alle verfügbar sein. Und deswegen sollte jede und jeder Lesen und Schreiben können. Die Geistlichkeit und wenige Privilegierte konnten es schon vorher. So blieb es Herrschaftswissen. Die meisten waren davon ausgeschlossen.

Erst die Reformation setzte konsequent auf Bildung . Ähnliche katholische Reformen folgten. Bis zu einer modernen Pädagogik war es allerdings noch ein langer Weg. Es dauerte, bis alle zur Schule gehen konnten, auch die Mädchen und die, die wenig Geld hatten. Bis alle eine Bibliothek in ihrer Nähe finden konnten. Bis arbeitende Menschen überhaupt freie Zeit für sich erstritten, zum Lesen und zur Weiterbildung. Noch vor wenigen Generationen mussten sich zum Beispiel Dienstboten freie Zeit erkämpfen, alle vierzehn Tage sonntags. Bezeichnenderweise waren es die kirchlichen Bibelgesellschaften, die sie dabei unterstützten.

Auch heute ist längst nicht alles gut. Vor kurzer Zeit hat die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mal wieder festgestellt: In Deutschland hängt der Bildungserfolg zu sehr von der sozialen Herkunft der Eltern ab. Mehr als in den meisten anderen Industrienationen.

Also gibt es noch viel zu tun. Was und wie das besser werden kann, dazu lohnt der Blick nach Finnland. Denn: Wozu Mikael Agricola den Grund gelegt hat, das entwickeln die Finnen bis heute so erfolgreich, dass sie im internationalen Vergleich der Schulleistungen bei PISA stets die ersten Plätze belegen. Eines ihrer Geheimnisse ist die Achtung vor denen, die Lesen und noch mehr lehren und uns damit die Schlüssel zum Verstehen in die Hand geben.

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