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Das meist fotografierte Haus in Deutschland
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Das meist fotografierte Haus in Deutschland

Dr. Peter Kristen
Ein Beitrag von Dr. Peter Kristen, Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt
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Der alte Hingucker der Frankfurter Altstadt ist auch der neue. Schon bevor die prächtigen Fachwerkhäuser zwischen Dom und Römer im Zweiten Weltkrieg zerstört worden sind, war die „Goldene Waage“ das meist fotografierte Haus in Deutschland. Achtzehn Kilo wiegt die große, goldene Waage an der Fassade des Hauses, die jetzt wieder in neuem Glanz erstrahlt.

Viele Besucher legen den Kopf in den Nacken, um sich einmal genauer anzuschauen, was der erste Bauherr, Abraham von Hameln, im 17. Jahrhundert an der Fassade seines Hauses hat anbringen lassen: Van Hameln war Gewürzhändler und Zuckerbäcker. Aus seinem Eckhaus scheint ein dunkelhäutiger Mensch einen Arm herauszustrecken. Die Gewürzhändler machten damals Geschäfte mit Menschen aus vielen Ländern und mit verschiedenen Hautfarben. Der Arm an der Fassade steckt in einem orientalischen Gewand, das ist bis zum Ellenbogen hochgerutscht. In der Hand hält er eine goldene Waage, ein Symbol der Gerechtigkeit.

Als reformierte Christen waren van Hameln und seine Frau Anna van Litt aus den Niederlanden geflohen vor dem blutigen Machtkampf zwischen Katholiken und Anhängern der Reformation. Gerechtigkeit war ein Streitthema der Reformation. Martin Luther hatte verkündigt: „Aus Gnade spricht Gott die Menschen gerecht. Und weil uns Gott gerecht spricht, lädt uns Gott ein, selbst auch gerecht zu handeln.“ 

Für mich hält die Goldene Waage die Frage der Gerechtigkeit auch heute wach. Das orientalische Gewand und die dunkle Haut erinnern mich daran, dass auch in unserer Zeit die meisten Gewürze aus fernen Ländern kommen: Pfeffer aus Indien, Chili aus Südamerika, Vanille aus Mexiko, Zimt aus Sri Lanka.

Die Waage der Gerechtigkeit ist im Lot, wenn die Menschen dort einen fairen Lohn dafür bekommen, dass sie pflanzen, ernten und veredeln, was wir jeden Tag genießen.

Heute ist ins Erdgeschoss der Goldenen Waage ein Café eingezogen. Der Kakao dort schmeckt besonders gut. Kakaobohnen kommen aus Ghana, Nigeria oder von der Elfenbeinküste. 40 Millionen Menschen leben vom Kakaoanbau. Wer den süßen Schaum an die Lippen führt, denkt nur selten an die harte Handarbeit der Kakaobauern oder daran, dass die Jahresernte eines einzelnen Baumes gerade einmal ein halbes Kilogramm Kakao ergibt. Ein fairer Preis dafür ist gerecht.

Millionen Besucher aus der ganzen Welt werden die neue Frankfurter Altstadt besuchen. Vielleicht wird die Goldene Waage für manche auch ein Denkmal der Gerechtigkeit, die allen Menschen gilt.

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