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Gott im Autoscooter

Gott im Autoscooter

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt-Bockenheim

Es war auf dem Pfingstmarkt in Worms, ein großes Volksfest. Die Achterbahnen und die anderen Fahrgeschäfte haben gerade geschlossen, es ist schon elf Uhr abends. Die Besucher sind gegangen. Gleich beginnt hier in der Nacht ein Gottesdienst. Ein Gottesdienst auf dem Autoscooter.

Gabi Müller ist Schaustellerin, sie betreibt mit ihrer Familie ein Fahrgeschäft und einen Crêpes-Stand. Jetzt hat sie Feierabend und sitzt in einem der kleinen Autos, die nun stillstehen. Der Bierzelttisch ist als Altar geschmückt und steht mitten auf der Fahrfläche. Andere Gottesdienstbesucher finden sich ein und nehmen in den kleinen Autos Platz, die nebeneinander im Halbkreis stehen.

Die Lichter des Autoscooters blinken wild, doch Gabi kommt ein wenig zur Ruhe. Sie winkt kurz der Pfarrerin zu, die sie schon lange kennt. Und dann geht es los. Der Gospelchor singt einen Song. Dann begrüßt die Pfarrerin die Gemeinde und sagt, worum es in diesem Gottesdienst geht. Ein Zitat aus dem Alten Testament: „Haltet mich nicht auf, denn Gott hat Gnade zu meiner Reise gegeben.“

Gabi Müller und die anderen Menschen, die sich hier versammelt haben, wissen genau, was es bedeutet, auf Reisen zu sein. Die meisten sind wie sie Schausteller Die Pfarrerin, die jetzt ein Gebet spricht, ist zuständig für die Schaustellerseelsorge in der Evangelischen Kirche. Sie ist da für Menschen wie Gabi, die unterwegs zu Hause sind, immer auf Achse. Von einer Kirmes zur nächsten. Für die der Sonntag ein Arbeitstag ist. Und die deshalb keine Möglichkeit haben, sonntags eine Kirche zu besuchen.

Am Nachmittag hat die Pfarrerin in Gabis Wohnwagen vorbeigeschaut, der hinter dem Karussell steht. Das pralle Leben auf elf Quadratmetern. Gabi und ihr Mann haben ihrer 13-jährigen Tochter auch so einen Wohnwagen geschenkt. Sie soll einmal das Geschäft übernehmen. Das weiß sie schon jetzt.

Gabi findet gut, dass ihre Pfarrerin selbst aus einer Schaustellerfamilie stammt. Wenn sie ihr Mut macht für den Alltag, weiß sie, wovon sie spricht. Wie hart es ist, wenn im Winter Wasserschläuche einfrieren. Wie schwierig es für sie ist, dem Mindestlohngesetz für ihre Angestellten gerecht zu werden. Wie belastend es für die Kinder sein kann, ständig auf eine andere Schule gehen zu müssen und manchmal schief angesehen zu werden, weil ihre Lebensweise anders ist als die der anderen Schüler.

Da braucht es ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Sie sagt: „Die meisten von uns lieben ihr Leben so, wie es ist. Lieben ihren harten Beruf. Wir sind da reingewachsen.“ Und sie sagt weiter: „Der Glaube gibt uns ein Zuhause, auch wenn wir immer auf Reisen ist. Deshalb feiern wir auch Gottesdienst auf dem Autoscooterplatz. Weil Gott mitten im Alltag zu finden ist. “

Der Gottesdienst ist fast vorbei. Gabi hat in der Predigt gehört, wie Gott mit auf Reisen geht. Und dass man das ganze Leben gut mit einer Reise vergleichen kann. Sie denkt kurz daran: Schon übermorgen geht es weiter an einen anderen Ort. Wieder abbauen und aufbauen. So wie immer.

Zum Segen klettern Gabi und die anderen aus den Autos und stellen sich hin. Es tut ihr gut zu hören: „Gott hat Gnade zu deiner Reise gegeben.“

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