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Wovon wir leben: Gast im Kloster
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Wovon wir leben: Gast im Kloster

Dr. Paul Lang
Ein Beitrag von Dr. Paul Lang, Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg
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Ich erinnere mich noch gut, als ich zum ersten Mal in einem Benediktinerkloster zu Gast war. Nach dem ersten Tag knurrte mir abends der Magen. Nicht etwa, weil es nichts oder zu wenig zu essen gegeben hätte. Nein, zu essen gab es gut und reichlich. Aber es gab so vieles zu staunen bei den gemeinsamen Mahlzeiten. Da war der große ehrwürdige Speisesaal, das Refektorium der Mönche. Dann so viele fremde und Ehrfurcht einflößende Rituale. Da habe ich schlicht und ergreifend meinen Teller nicht ordentlich befüllt und mich vom Essen ablenken lassen. Das änderte sich schon am folgenden Tag ganz automatisch. Das Staunen und das Essen haben sich rasch miteinander versöhnt. Fast jedes Jahr schaffe ich es heute, zu einer Auszeit für ein paar Tage in ein Kloster zu kommen. Wie damals faszinieren mich die gemeinsamen Mahlzeiten. Das Besondere ist dabei für mich gar nicht mehr so sehr der Speisesaal, auch nicht der strukturierte Ablauf und die klare Sitzordnung. Am besten gefällt mir heute der Brauch der Tischlesung. Während die anderen essen, liest ein Mitglied der Gemeinschaft vor. Das kann aus einem Sachbuch sein, einem Roman oder einer Biografie. Darüber entscheiden alle zusammen. Ein bisschen wie ein lebendiges Hörbuch ist das. In Etappen von Mahlzeit zu Mahlzeit folgen die Fortsetzungen.

Einmal habe ich ein koptisches Kloster besucht. Kopten nennt man die Christen in Ägypten. Die Klostertradition dort ist viel älter als bei uns und sie reicht zurück bis ins 3. Jahrhundert. Mit einem Mönch zusammen mache ich einen Rundgang durch die ehrwürdige Anlage mitten in der Wüste am Roten Meer. Dabei betreten wir auch den Speisesaal. Der Raum ist angenehm kühl und weiß gekalkt. Seine Einrichtung besteht im Wesentlichen nur aus einer langen Tafel. An den beiden Längsseiten dieses Tisches sind die Plätze für die Mönche. Das Kopfende des Tisches aber ist ungewöhnlich. Aus dem Tisch herausgearbeitet ist dort eine Buchauflage, ein Lesepult. Dieser Platz ist nicht zum Essen gedacht. "Das ist der Platz des Abtes, des Klostervorstehers", erklärt mein Begleiter. "Er liest den Mönchen vor, während sie essen." Ehe ich eine Frage stellen kann, fährt er fort: "So erhalten sie Nahrung nicht nur für den Körper."

Das hat mich nachdenklich gemacht. Und das tut es auch heute noch. Wovon lebe ich eigentlich? Natürlich vom Brot, von den Lebensmitteln auf dem Tisch. Zum Leben gehört aber mehr. Gemeinschaft mit anderen Menschen ist lebenswichtig. Kommunikation, Teilhabe am Leben anderer. Begegnung, Gespräch. Die Gedanken anderer vermitteln mir auch Medien. Ein Freund empfiehlt mir regelmäßig Podcasts, die er beim Joggen anhört. Eine besondere Form solcher Kommunikation, solcher geistiger Nahrungsaufnahme sind auch Bücher. Über Zeit und Raum hinaus eintauchen in das Denken, Leben und Erkennen anderer. Lesen ist Lebensmittel.

 

 

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