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Neues auf die Welt bringen
Bild: congerdesign_pixabay

Neues auf die Welt bringen

Anke Jarzina
Ein Beitrag von Anke Jarzina, Katholische Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Peter und Paul in Wiesbaden
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Ach, die Adventszeit ist schon eine schöne Zeit. In den letzten Jahren ist sie, ehrlich gesagt, immer etwas an mir vorbei gerauscht. Der übliche Vorweihnachtsstress. Dieses Jahr ist das anders: Wegen Corona fallen die Weihnachtsfeiern und Besuchsmarathons aus. Einerseits ist das natürlich schade, denn die Geselligkeit fehlt mir schon sehr. Aber andererseits hat der Advent auch endlich mal eine Chance, gemütlich und kuschelig und vielleicht sogar besinnlich zu werden. Ich warte aufs Christkind – und zwar endlich mal ganz bewusst.

Warten aufs Christkind

Das Warten aufs Christkind hat mich schon oft an das Warten auf die Geburt unserer Kinder erinnert. Damals hat mich der dicke Bauch zu Langsamkeit und Achtsamkeit verdonnert, und das war nicht das Schlechteste. Denn: Mit den Geburten war es dann ziemlich plötzlich vorbei mit der Ruhe. Beide Menschlein haben, als sie dann auf der Welt waren, unseren Alltag komplett durcheinandergewirbelt. Wir mussten uns jedes Mal neu aufeinander einstellen und aneinander gewöhnen.

Vertun wir die Chance auf den Neuanfang

Das Warten auf die Geburt des Christkinds: Das erlebe ich dieses Jahr schon zum zweiundvierzigsten Mal. Aber mal ehrlich: Die Geburt dieses Kindes in der Krippe hat mich schon lange nicht mehr durcheinandergebracht oder meinen Alltag komplett auf den Kopf gestellt. Sicher, ich freu mich auf die ganz besondere Atmosphäre, die bestimmt auch dieses Jahr spürbar sein wird. Aber darauf folgt normalerweise kein absoluter Neuanfang, der mein Leben neu sortiert. Spätestens nach den Weihnachtsferien geht doch alles wieder seinen gewohnten Gang. Aber: Ist das nicht eine vertane Chance?

Etwas Neues in die Welt bringen

Ich glaube, ich möchte Weihnachten in diesem Jahr dazu nutzen, etwas Neues zur Welt zu bringen. Nein, ich bin nicht schwanger. Aber: In mir wächst ja vielleicht etwas heran, das geboren werden, auf die Welt kommen will. Eine Projektidee vielleicht. Oder ein paar tiefgründige Worte, ein Brief an einen alten Freund. Vielleicht auch ein Gedicht oder ein Bild. Möglicherweise auch eine Veränderung, ein neuer Plan, ein Vorsatz fürs neue Jahr. Der Advent kann die Zeit sein, die ich für diesen Gedanken nutze: Was ist denn noch in mir, das geboren werden will?

Ich hab schon die Erfahrung gemacht: Dieses „Zur-Welt-Bringen“ von etwas Neuem, das fühlt sich richtig gut an. Gar nicht so schmerzhaft wie die leibliche Geburt von Babys, aber oft auch nicht ganz ohne Wehen. Als ich zum Beispiel ein neues Projekt in unserer Pfarrei initiieren wollte, musste ich erstmal ein paar Leute davon überzeugen: Es lohnt sich und ist wirklich sinnvoll! Das hat mich schon etwas Kraft und Anstrengung gekostet. Aber wie bei einer Geburt würde ich hier auch sagen: Es hat sich wirklich gelohnt!

Ein neues Stück Wirklichkeit zur Welt bringen

Etwas Neues will durch mich zur Welt kommen: Das passiert natürlich nicht nur in beruflichen Zusammenhängen, sondern auch in ganz alltäglichen: Wann immer ich etwas Neues anfange und etwas tue, das es vorher so noch nicht gab – eine Idee, einen Plan, ein Vorhaben - gebäre ich sozusagen ein Stück Wirklichkeit. Ich bringe etwas zur Welt. So jedenfalls hat das die jüdische Philosophin Hannah Arendt gesehen. Sie nannte dieses Prinzip die „Gebürtlichkeit“ des Menschen oder die „Natalität“(vgl. Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München 2001). So sperrig dieser Begriff beim ersten Mal klingt, so schön ist er auch bei mehrmaligem Hinhören: Natalität. Das lateinische Wort „natalis“ bedeutet ja „zur Geburt gehörig“ – und in vielen Sprachen der Welt leitet sich das Wort für Weihnachten davon ab. Zum Beispiel wünscht man sich in Italien „Buon Natale“ und in Portugal und Brasilien „Feliz Natal“.

Mich neu für die Welt erfinden

Weihnachten: das Fest der Natalität, des Kommens in die Welt. Dieses „In-die-Welt-Kommen“ passiert nach Hannah Arendt nicht nur bei unserer leiblichen Geburt, die sozusagen unsere erste Geburt ist, sondern immer dann, wenn wir uns - Zitat -„sprechend und handelnd in die Welt (einschalten)“ (vgl. Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München 2001, 5. Kapitel: Das Handeln). Wann immer wir also die Initiative ergreifen und etwas Neues in die Welt setzen, ist das, so sagt Hannah Arendt, „wie eine zweite Geburt, in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen, gleichsam die Verantwortung dafür auf uns nehmen.“

Ich finde, das ist eine großartige Botschaft für Advent und Weihnachten: Ich kann immer wieder neu anfangen, mich sozusagen immer wieder neu erfinden – und zwar durch das, was ich von mir in diese Welt hinein gebe.

Hannah Arendt schreibt: „Weil jeder Mensch auf Grund des Geborenseins ein initium, ein Anfang und Neuankömmling in der Welt ist, können Menschen Initiative ergreifen, Anfänger werden und Neues in Bewegung setzen.“

Was habe ich dieser Welt bisher Neues gegeben?

Das ist ein toller Gedanke für diese Adventszeit, finde ich. Ich frage mich zum Beispiel: Was kam denn bisher durch mich in diese Welt, das bis dahin noch nicht da war? Was habe ich (außer meinen Kindern) geboren? Und wie habe ich diese „Geburten“ erlebt? Wer stand mir dabei zur Seite? Ich glaube, dabei muss es gar nicht um die großen Projekte oder Lebensentscheidungen gehen oder um berufliche Selbstverwirklichung. Vielleicht war ich ja auch handwerklich oder künstlerisch, ehrenamtlich oder freundschaftlich auf irgendeine Art und Weise da, die es vorher noch nicht gegeben hat.

Was ich bin und was ich tue ist einzigartig

Diese Fragen machen mir gleich zwei wunderbare Dinge bewusst. Erstens: Ich bin einzigartig. Selbst, wenn ich keine wahnsinnig weltbewegenden Sachen auf die Beine gestellt habe: Alles, was ich tue, ist einzigartig – weil ich einzigartig bin. Niemand ist so wie ich. Und alles, was ich tue in dieser Welt, hat es vorher so noch nicht gegeben. Und zweitens: Wenn ich auf diese Art und Weise etwas Neues auf diese Welt bringe, handle ich schöpferisch, oder um es nochmal mit Hannah Arendt zu sagen: „Wegen dieser Einzigartigkeit, die mit der Tatsache der Geburt gegeben ist, ist es, als würde in jedem Menschen noch einmal der Schöpfungsakt Gottes wiederholt und bestätigt.“

Womit kann ich diese unsere Welt bereichern?

Wow! Mit mir und meinem Handeln kommt etwas Göttliches in diese Welt! Ich habe Anteil an dieser Schöpfung, aktiv und kreativ – und bin nicht nur passiver Teil davon. Das wäre für sich genommen ja auch schon was - aber diese „Natalität“ meint eben noch mehr: Ich bringe mit dem, was ich tue, das Göttliche zur Welt – und zwar auf einzigartige Weise. Dann frage ich mich: Wie kann ich diese Welt denn bereichern? Was ist noch in mir, das begonnen, initiiert, zur Welt gebracht werden will? Womit kann ich diese Welt beschenken?

Wie und wo kann ich mich aktiv und kreativ einbringen?

Das ist mal ein ganz anderer Blick auf die Frage: „Was schenke ich bloß dieses Jahr?“ Eine Idee hätte ich: Ich könnte mir den Heiligen Nikolaus zum Vorbild nehmen, heute ist ja Nikolaustag. Er, der Bischof aus Myra, hat ja auch in seiner einzigartigen Art den Menschen damals geholfen – und das wirkt bis heute. Ich könnte doch mal nachfragen, ob die „Tafel“ in unserer Stadt zum Beispiel noch Leute zum Austeilen von Lebensmitteln oder warmen Mahlzeiten braucht. Oder ich mache eine Spende an eine karitative Einrichtung. Es gibt viele Möglichkeiten, mich selbst zum Geschenk für diese Welt zu machen.

Weihnachten: Das Göttliche kommt in die Welt – und bleibt auch da. Es ist in mir – und ich kann es auf die Welt bringen.

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