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Mysterium am Hauptbahnhof

Mysterium am Hauptbahnhof

Uwe Groß
Ein Beitrag von Uwe Groß, Katholischer Diakon, Pfarrei St. Peter und Paul, Wiesbaden

„Das Mysterium findet am Hauptbahnhof statt“, diesen Satz hat einmal Joseph Beuys gesagt. Ich verstehe das christlich gewendet so: Für eine Begegnung mit Gott muss ich nicht unbedingt in die Kirche gehen, einen Gottesdienst besuchen oder besonders fromm sein. Begegnung mit Gott: die kann ich mitten in meinem Alltag erleben. Jesus selbst hat es einmal so gesagt: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“. Bis heute gilt deshalb: Wenn ich Menschen im Krankenhaus oder Gefängnis besuche, wenn ich denen, die hungrig und durstig sind, etwas zu essen gebe oder Menschen zu einer Unterkunft verhelfe oder sie bekleide, dann kann ich genau in diesen Bedürftigen Gott selbst finden (vgl. Matthäus-Evangelium 25).

Jesus hat das damals ziemlich konkret ausgedrückt. Gott zeigt sich mir im Gesicht des Menschen, für den ich jetzt gerade da bin. Für mich heißt das heute zum Beispiel auch: Er ist da, wenn Menschen ihre altgewordenen Eltern pflegen, wenn sich Eltern um ihre Kinder kümmern, wenn ich mit Liebe und Freundlichkeit meinen Beruf ausübe, wenn ich versuche auch bei noch so viel Stress menschlich zu bleiben. „Das Mysterium findet am Hauptbahnhof statt.“ Dieser Satz von Joseph Beuys sagt mir: Gott ist nicht an bestimmten Orten zu finden und an anderen nicht – er ist jetzt hier mitten in meinem Alltag, und ich kann durch mein Verhalten dazu beitragen, dass ich Gott erlebe und dass er für andere erlebbar wird.

Zu meinen Aufgaben als Gemeindeseelsorger gehört es zum Beispiel auch, zweimal in der Woche in der Schule zu unterrichten. Ich empfinde das, ehrlich gesagt,  manchmal als ziemlich stressig. Aber gerade dann: Ruhig und geduldig zu bleiben, wenn der nervige Schüler zum x-ten Mal dasselbe fragt oder mich durch sein Verhalten provoziert. Auch in dieser nervigen Schulsituation kann das Mysterium aufscheinen. Kann es die Herausforderung sein – cool zu bleiben.

Das Mysterium findet am Hauptbahnhof statt. Das bedeutet für mich auch: Ich begegne Gott nicht nur in außergewöhnlichen Glücksgefühlen, sondern gerade auch in den banalen Dingen des Alltags, in den Dingen, die ich tun muss: beim Töpfe spülen, Windeln wechseln, einkaufen oder bei den lästigen Schreibarbeiten. Alles kann ich mürrisch und notgedrungen tun oder ich kann versuchen, darin einen Sinn zu sehen – eben das, was jetzt gerade ansteht. Einen Sinn darin zu sehen, heißt für mich: Gott zu ehren. Jesus war sich auch nicht zu schade, seinen Jüngern die Füße zu waschen, auch wenn das die Aufgabe eines Dieners war.

Das Mysterium, das Geheimnis kann überall stattfinden: in einem magischen Moment. Aber meist wohl eher im Wahnsinn des Alltags.

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