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Kinderaugen voll Hoffnung
Foto:Privat

Kinderaugen voll Hoffnung

Ralf Schweinsberg
Ein Beitrag von Ralf Schweinsberg, Pastor der evangelisch-methodistischen Kirche in Gründau-Rothenbergen
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Sie sitzen nebeneinander auf dem Boden, an eine Schiffs Reling gelehnt, und strecken ihre Schuhe in die Kamera. Auf jeder Schuhsohle steht ein Buchstabe oder eine Ziffer, so dass man zusammengesetzt lesen kann: „Imperator 1913“. Der Imperator war das in Deutschland gebaute Pendant zur Titanic.

Der Imperator - das Pendant zur Titanic

Auch der Imperator brachte nicht nur die bessere Gesellschaft über den Atlantik. Er hatte auch Auswanderer an Bord, die aus dem alten Europa in die neue Welt nach Amerika wollten. Der Imperator wurde nicht so berühmt wie die Titanic – Gott sei Dank. Er ist nicht untergegangen.

Auswanderer in eine neue Welt

Sieben Kinder sitzen im Jahre 1913 an Deck dieses Dampfers in einer Reihe, die Jüngste vielleicht drei, die Älteste etwa 14 Jahre alt. Vermutlich hat der Fotograf auf ihre Schuhsohlen den Namen des Schiffes und das Jahr gepinselt. „Imperator 1913“.

Dieses Foto hängt bei uns im Esszimmer. Immer, wenn ich darauf schaue, dann fasziniert mich der Ausdruck in den Gesichtern der Kinder. Die Kleinste lacht verschmitzt in die Kamera. Aber bei den Größeren erkenne ich in ihren Mienen eine Mischung aus Anspannung und Neugierde, Skepsis und Vorfreude.

"Imperator 1913"

1913 sind diese sieben Kinder nach Amerika ausgewandert. Ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Für viele Auswanderer war das eine Flucht vor existenziellen Nöten. In ihrer Heimat mussten sie hungern und hatten keine Perspektive. Eine Zukunft sahen sie in dieser „neuen Welt“ jenseits des Atlantiks.

Haben sich ihre Träume erfüllt?

Ich wüsste zu gerne, was aus diesen sieben Kindern geworden ist. Haben sie es geschafft? Haben sie sich ihre Freude, ihr verschmitztes Lächeln erhalten können? Haben sich ihre Träume erfüllt? Oder haben sie Hunger und Not doch wieder eingeholt?

Wie sähe das Foto heute aus?

Wenn ich dieses Foto bei uns im Esszimmer sehe, überlege ich manchmal: Wie würde das Bild heute, mit meinen Freunden, mit meiner Familie aussehen? Wenn wir auch alle unsere Schuhe Richtung Foto strecken würden. Was würden wir auf unsere Schuhsohlen schreiben?

Corona fett durchstreichen

Ich würde „Corona 2021“ draufschreiben. Und dann das Wort Corona mit einem dicken Strich durchstreichen. Das würde mir richtig Spaß machen. Vor allem dieser dicke Strich, mitten durch Corona. Das drückt meine Hoffnung aus. Diese Pandemie darf uns nicht ewig festhalten. Die Hoffnung muss am Ende stärker sein. Und diese Hoffnung gibt mir Kraft durchzuhalten.

Schritte in eine neue Zukunft

Die Kinder auf dem Dampfer wussten, dass ihre Reise über den Atlantik noch ein paar Wochen dauern wird. Aber sie waren auf dem Schiff. Sie hatten die entscheidenden Schritte in eine neue Zukunft getan. Das sehe ich in ihren Gesichtern.

Wie lange bei uns die Reise durch diese Pandemie noch dauert, weiß ich nicht. Aber auch sie wird ein Ende finden. Und ich freue mich jetzt schon darauf, wenn ich mit Freunden und Familie das Foto nachstellen kann: Schuhsohlen in die Kamera strecken, darauf das Wort Corona fett ausgestrichen. Ich habe schon mal den Stift parat.

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