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Hoffnung, Trost und Freude: Singen im Advent
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Hoffnung, Trost und Freude: Singen im Advent

Alexander Matschak
Ein Beitrag von Alexander Matschak, Medienkoordinator des Bistums Mainz
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Hätte, hätte Fahrradkette

Eigentlich säße ich jetzt um diese Zeit hinter dem Steuer. Und wäre mit meiner Familie auf dem Weg nach Köln. Denn heute ist Nikolaus. Und eigentlich hätte meine Schwägerin heute wieder zu unserer traditionellen Familienfeier eingeladen. Ein tolles Essen hätte es gegeben. Und danach hätten wir gemeinsam einen Spaziergang durch den Kölner Stadtwald gemacht. Wieder zurück zuhause hätten wir im Wohnzimmer gesessen und Advents- und Nikolauslieder gesungen. Und gespannt auf den Besuch des Nikolaus gewartet. Den mimt nämlich mein Schwager mit echtem Bischofsgewand. Sein Auftritt mit großen Sack und Goldenem Buch ist jedes Jahr der Höhepunkt unserer Feier.

Tja, wie heißt es so schön: Hätte, hätte, Fahrradkette. Natürlich ist unsere Familienfeier wegen Corona dieses Jahr abgesagt. Wir bleiben daheim. Und wir sind da sicher nicht die Einzigen, vielen Menschen wird es so gehen. Denn weiterhin gilt die Devise: Abstand halten. Soziale Kontakte so gut wie möglich reduzieren. Für uns heißt das: Wir feiern Nikolaus nur in unserer kleinen Familie zu viert. Gefüllte Stiefel stehen heute Morgen vor den Türen meiner beiden Kinder. Und am Nachmittag wollen wir uns zusammensetzen und Lieder singen.

Ein paar von diesen Liedern, die wir heute zuhause singen werden, habe ich auch für diese Morgenfeier mitgebracht. Lieder zum Mitsingen oder wenigstens zum Mitsummen. Es sind natürlich Lieder und Musik aus der Adventszeit. Es sind Lieder und Musik, die mir wichtig sind. Die mir durch diese schwere Zeit helfen, die mir Trost und Hoffnung schenken. Darüber will ich heute ein bisschen erzählen.

Und da Nikolaus ist, fange ich auch mit einem Nikolauslied an. Da denke ich natürlich an: „Lasst uns froh und munter sein“. Über die Herkunft dieses Liedes weiß man nicht viel, es soll aus dem Hunsrück stammen. Ich erlebe immer wieder: Kinder singen dieses Lied wahnsinnig gerne. Und ich mag dieses Lied, weil es fröhlich und heiter ist. Und es hat für mich eine gewisse Leichtigkeit. Die tut mir gut in diesen eher schweren, bedrückenden Corona-Zeiten.

Musik 1: Lasst uns froh und munter sein, aus: Weihnachtslieder, Hermann van Veen & Ton Koopman, [1] 1:20.

Ankunft und Vorfreude

Heute ist ja nicht nur Nikolaus. Heute ist auch der zweite Advent. Heute zünde ich die zweite Kerze auf unserem Adventskranz an. Und ich mache mir dabei die Bedeutung des Worts Advent mal wieder ganz bewusst. Advent: Das heißt übersetzt: Ankunft. Und bei dem Wort „Ankunft“ denke ich zuerst mal an „unterwegs sein“ und „irgendwo ankommen“, „sich auf den Weg machen“ und „sein Ziel erreichen“. Auf alle Fälle: an Aktivität, an Bewegung. Aber: Das findet ja in diesen Corona-Zeiten kaum statt. Ich fahre heute nicht nach Köln – und bin auch sonst praktisch nicht auf Reisen, komme nirgendwo an. Stillstand ist gefragt, daheimbleiben. Eine Reise machen, Familie oder Freunde besuchen, einen Wochenendtrip zu einem stimmungsvollen Weihnachtsmarkt unternehmen: Alles nicht möglich derzeit und die Weihnachtsmärkte sind ja sowieso alle abgesagt.

Trotzdem: Ich erinnere mich heute an die positiven Dinge, die ich mit Ankunft verbinde. Da fallen mir zum Beispiel Bahnsteige in Bahnhöfen ein oder der Ankunftsbereich in einem Flughafen. Da sehe ich Menschen, die sich mit einem strahlenden Lächeln begrüßen. Da sehe ich Familienmitglieder, die sich umarmen. Da sehe ich Liebespaare, die sich innig küssen. Klar, auch das ist alles in Coronazeiten kaum mehr möglich. Aber mir ist es wichtig, mich daran zu erinnern – Ankunft, ankommen: Das ist eine wunderbare Sache. Und das sagt mir auch die zweite Kerze auf meinem Adventskranz: Als Christ warte ich auf eine ganz besondere Ankunft. Ich warte auf die Geburt von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.

Die Vorfreude auf diese ganz besondere Ankunft: Die kommt für mich vor allem in einem Adventslied zum Ausdruck. Das Lied: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“. Ich fange meist an zu lächeln, wenn ich dieses Lied singe. Ich mag seinen beschwingten Rhythmus, seine eingängige Melodie. Fast 400 Jahre ist dieses Lied schon alt. Den Text hat der evangelische Pfarrer Georg Weissel aus Königsberg im Jahr 1623 geschrieben – zur Einweihung einer Kirche. Der Text zitiert unter anderem aus Psalm 24, wo es heißt: „Ihr Tore, hebt eure Häupter, hebt euch, ihr uralten Pforten, denn es kommt der König der Herrlichkeit!“ Auch der Psalm 24 thematisiert mit gewaltigen Worten eine Ankunft: Nämlich den Einzug Gottes in unsere Welt. Die wunderbare Melodie des Liedes kam erst viel später dazu: Sie findet sich in einem Gesangbuch aus dem Jahr 1704, der Komponist ist nicht bekannt.

Ganz besonders bewegt mich in diesem Jahr die dritte Strophe des Liedes. Sie lautet: „O wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat. Wohl allen Herzen insgemein, da dieser König ziehet ein. Er ist die rechte Freudensonn, bringt mit sich lauter Freud und Wonn. Gelobet sei mein Gott, mein Tröster früh und spat.“ Für mich wird hier gesagt: Gott macht sich auf den Weg zu uns. Und: Gott steht uns bei. Auch in diesen schwierigen Zeiten der Corona-Pandemie. Zwar muss ich zu allen Abstand halten, aber Gott kommt zu mir, ganz nah – bis in mein Inneres, bin in mein Herz. Gott ist mein Trost – zu allen Zeiten.

Musik 2: Macht hoch die Tür, aus: Music for Christmas Nights, Quadro Nuevo & Münchner Symphoniker, [8] 3:14.

Reiß die Himmel auf!

Eine Sache hat mich in der Adventszeit immer ein wenig gestört: Dass schon in den vier Wochen vor dem Heiligen Abend Weihnachtslieder gespielt werden. In den Kaufhäusern und Geschäften tönen aus den Lautsprechern gerne die Evergreens „Stille Nacht, heilige Nacht“ oder „Oh du fröhliche“. So schön diese Lieder auch sein mögen - jedes Mal frage ich mich: Was sollen Weihnachtslieder in der Adventszeit? Und: Warum nicht wenigstens ein Adventslied?

Vielleicht liegt es ja daran, dass Adventslieder nicht immer so romantisch-süß sind wie manches Weihnachtslied. Ich denke da insbesondere an das Lied: „Oh Heiland reiß die Himmel auf“. Da heißt es in der ersten Strophe: „Oh Heiland reiß die Himmel auf, herab, herab, vom Himmel lauf! Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für!“ Da ist nicht die Rede von einem Jesuskind mit roten Wangen und goldenen Locken. Eindringlich wird Gott angerufen, mit aller Kraft auf die Erde zu kommen. Und so sehnsuchtsvoll geht es auch in den nächsten Strophen weiter: Da geht es um „die größte Not“, die Gott endlich wenden soll. Passt irgendwie erst einmal so gar nicht zu einer besinnlichen Adventszeit.

Das hat sicher mit dem Verfasser des Liedes zu tun: dem Jesuitenpater Friedrich von Spee. Ihm wird das Lied zugeschrieben, das erstmals 1622 veröffentlicht wurde. Friedrich von Spee lebte in der Zeit des 30-jährigen Krieges – einer Epoche von Krieg und Zerstörung, Verwüstung und Vertreibung in ganz Europa. Ich finde: Das merkt man diesem Lied an. Nicht umsonst spricht Spee von der Erde als „Jammer-tal“. Und ich denke da natürlich auch an die Situation heute. An Menschen, die wegen Corona verzweifelt und vereinsamt sind. Die kein Licht am Ende des Tunnels sehen. Oder die Freunde oder einen nahen Verwandten verloren haben. Trotzdem ist es kein resignierendes Lied. Bei allen weltlichen Katastrophen bleibt für Spee Jesus Christus die große Hoffnung – er ist für ihn der „Trost der ganzen Welt“, wie es in der vierten Strophe heißt.

Ich schätze diesen ganz anderen Charakter dieses Liedes sehr – eben weil es nicht gefühlig-sentimental ist. Sondern weil es ein durch und durch menschlicher, beinahe anklagender Anruf an Gott ist: Komm endlich zu uns! Trotz des Zustandes dieser Welt. Oder wie es Spee ausdrückt: „O klare Sonn’, du schöner Stern, dich wollten wir anschauen gern. O Sonn’, geh auf, ohn’ deinen Schein in Finsternis wir alle sein.“

Der Komponist Johannes Brahms hat das Lied im Jahr 1860 als Chor-Mottete vertont. Sie ist für mich ein Musik-Edelstein. Denn Brahms gelingt es in seiner kleinen Komposition wie keinem anderen, die unterschiedlichen Stimmungen der einzelnen Liedstrophen kongenial in Musik auszudrücken.

Musik 3: Johannes Brahms, O Heiland, reiß die Himmel auf, aus: Brahms – Geistliche Chormusik; Rias Kammerchor, dir. Marcus Creed; Track 2 bis ca. 2.20 min.

Es kommt ein Schiff

Corona und der Lockdown: Beides hat mein Leben in vielerlei Hinsicht verändert. So sind beispielsweise meine Samstage und Sonntage seit vielen Wochen ganz anders als vor Corona. Ich bin immerhin auch zu Dingen gekommen, die ich schon lange vor mir hergeschoben habe. Da gab es unterm Dachboden noch immer Umzugskisten, in die ich seit Jahren nicht reingeschaut habe. Jetzt habe endlich mal Zeit gehabt, um sie heraus zu holen. In einer Kiste habe ich meine alten Fotoalben gefunden. Lange habe ich dann im Zimmer gesessen, mir die alten Aufnahmen angesehen und in Erinnerungen geschwelgt.

Mit dabei: Das Album mit den Fotos von Jugendfreizeiten aus meiner alten Wiesbadener Pfarrei. 30 Jahre ist das jetzt schon her. Aber diese Jugendfreizeiten gehören für mich zu meinen schönsten Erinnerungen. Ganz besonders die Segelfreizeiten auf dem Ijsselmeer in den Niederlanden. Drei Mal sind wir mit den Plattenbooten durch das große Binnenmeer gesegelt, haben bei Wind und hohen Wellen Segel gehisst und gerefft, haben Hitze und totale Flaute erlebt, haben zu zwanzig Jugendlichen zusammen auf engstem Raum gelebt. Und sonntags haben wir mit unserem Pfarrer auf unserem Boot Gottesdienst gefeiert. Es sind glückliche und unbeschwerte Tage gewesen.

Segel, die sich im Wind blähen – ein Schiff, das auf einen Hafen zufährt: Es ist dieses Bild von dem Plattenboot auf dem Ijsselmeer, an das ich bei einem Adventslied oft denken muss. Das Lied „Es kommt ein Schiff geladen“. Denn auch in diesem Lied ist von Segeln, von einem Mast und von einem Anker die Rede. Die Urgestalt des Liedes gehört zu den ältesten geistlichen Gesängen in deutscher Sprache. Es stammt aus dem 14. Jahrhundert und wird dem Dominikanerpater Johannes Tauler zugeschrieben. Im 17. Jahrhundert sind weitere Strophen hinzugekommen. Fast genauso alt ist die heute bekannte Melodie: Sie stand erstmals im so genannten Andernacher Gesangbuch aus dem Jahr 1608.

Ich denke heute vor allem an die dritte Strophe des Liedes, in der es heißt: „Der Anker haft' auf Erden, da ist das Schiff am Land. Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.“ Ich finde: Das ist ein großartiges, ein Mut machendes Bild: Jesus Christus ist an Bord und segelt auf uns Menschen zu. Neulich habe ich ein Gebet gelesen, das auch den Gedanken des Schiffes aufgreift: Hier ist das Schiff nicht Jesus selbst, sondern wir Menschen. Aber die Botschaft ist gleich: Gott will bei uns sein, er ist mit uns unterwegs. Es heißt: „Der Herr ist in unserem Schiff. Im Schiff dieser Zeit, das beladen ist mit Angst, Not und Sorge um die Zukunft. Im Schiff der Kirche, die von Stürmen umhergeworfen wird. Im Schiff unseres Lebens, dessen Segel zerrissen sind. Habt also keine Angst, der Herr ist doch in unserem Schiff.“

Musik 4: Es kommt ein Schiff geladen, Hermann Meinhard Poppen aus: Es singt und klingt, Neuer Knabenchor Hamburg / Blechbläserquintett Elbeblech / Ulrich Kaiser) [2] bis ca. 3.04 min.

Meine alte Schallplatte

Bei meinen Eltern im Wohnzimmerschrank, da steht sie noch: meine alte Adventslieder-Platte. Sie heißt „Die Weihnachtsliederfibel“. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich als Kind die Lieder auf dieser Platte rauf- und runtergehört habe. Es gibt auch ein Bild von mir – es muss aus den späten 1970er Jahren sein: Da sitze ich mit meinem besten Freund Jörg auf unserem orangefarbenen Wohnzimmersofa, wir beide halten die Plattenhülle in der Hand und singen inbrünstig. Fünf oder sechs Jahre bin auf diesem Bild alt.

Ich habe mir das Album kürzlich nochmals rausgeholt. Es ist ein Doppelalbum, das man wie ein Buch aufklappen kann: Vorne auf der Schallplattenhülle ein leuchtend roter Stern und hinten: ein Engel. An die Vorderseite konnte ich mit gut erinnern. Aber nicht mehr an den Engel. Und was ich auch nicht mehr in Erinnerung hatte: der Engel lacht und tanzt sogar! Getanzt habe ich nicht, als ich mir die Platte nochmal angehört habe. Aber gelächelt: Wie wunderbar sind die Lieder auf dieser Platte arrangiert. Ich muss sie mir unbedingt noch digitalisieren – auch wenn es gehörig knistert und rauscht.

Diese alte Schallplatte und das Bild von mir als Fünfjähriger: Sie erinnern mich daran, dass ich immer gerne gesungen habe. Ob später als Mitglied unserer Pfarreiband, als Chorsänger oder als Vorsänger in meiner Pfarrei. Leider habe ich es in den vergangenen Monaten kaum machen können. Denn Singen ist ja seit Corona kaum möglich. Weder im Chor, noch im Gottesdienst. Und es fehlt wirklich, das Singen in der großen Gemeinschaft.

Trotzdem: Das Singen wird immer ein wichtiger Teil meiner Glaubenspraxis bleiben. Ich mache es jetzt zumindest zuhause – zum Beispiel heute am zweiten Advent zusammen mit meiner Familie. Nicht umsonst sagt man: „Wer singt, betet doppelt.“ Das finde ich wichtig – gerade jetzt in dieser ganz anderen Adventszeit. Es gibt mir Freude, Hoffnung und Trost. Ich singe die Lieder, von denen ich heute erzählt habe und vielleicht auch noch paar Melodien mehr. Und ich denke auch an Psalm 104, in dem es heißt: „Ich will dem Herrn singen in meinem Leben, meinem Gott singen und spielen, solange ich da bin. Möge ihm mein Dichten gefallen. Ich will mich freuen am Herrn.“

Musik 5: Johann Hermann Schein: Freuet euch des Herren (Psalmen Davids, La Capella Ducale / Musica Fiata Köln / Roland Wilson) [5] - Fade out.

 

 

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