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Hikikomori

Hikikomori

Andrea Maschke
Ein Beitrag von Andrea Maschke, Katholische Pastoralreferentin in Bad Homburg / Friedrichsdorf
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Anfang des Jahres, als hierzulande noch keine Rede vom Corona-Virus war, habe ich einen Artikel über italienische Eltern gelesen, die sich Sorgen machten über ihre jugendlichen Kinder. Diese seien nämlich „Hikikomori“.

Da mir dieses Wort nichts sagte, habe ich mich kundig gemacht: Hikikomori, das sind Menschen, meist junge Menschen, die das Haus oder das eigene Zimmer so gut wie nie verlassen, kaum reale Kontakte und Beziehungen haben. Manche verbringen die meiste Zeit vor dem Computer und tauchen ab in virtuelle Welten. Dass das für die restlichen Familienmitglieder verstörend sein kann, lässt sich nachvollziehen. Ehrlich gesagt, klingt das für mich ziemlich ungesund.

Isoliertes Leben in virtuellen Welten

Hikikomori ist ein japanisches Wort und bedeutet so etwas wie „sich isolieren“. In Japan gibt es wohl unter der männlichen Bevölkerung jungen und mittleren Alters eine Menge Hikikomori, man schätzt und befürchtet, mindestens eine halbe Million Menschen, vielleicht auch doppelt so viele. Die Gründe, sich so zurück zu ziehen, sind vielfältig. Hier in Europa sind es eher einzelne, die sich in dieser Weise isolieren.

In den letzten Wochen musste ich oft an die Hikikomori denken. Ob sie einen großen Unterschied merken in der Zeit der Corona-Regeln? Ob sie diese am Ende vielleicht gar nicht als Einschränkung spüren? Also gar nicht wirklich davon betroffen sind?

Kontakt halten über die digitalen Medien

Auf den ersten Blick scheint es, als wären viele von uns in diesen Wochen ein bisschen zu Hikikomori geworden: viel zu Hause, eingeschränkte Kontakte, oft digital unterwegs. Wobei das tatsächlich nur auf den allerersten Blick so ausschaut: viele Menschen nutzen die modernen Medien ja gerade, um in Kontakt zu kommen und zu bleiben: Videokonferenzen, Mails, Chats … Homeoffice und Schule über die digitalen Medien. Auch die Gottesdienste und Gebete kommen so zu vielen Menschen.

Vorfreude auf "echtes" Zusammensein

Und die allermeisten von uns freuen sich schon sehr auf die Zeit „danach“! Ist es bei aller schmerzhaften Sehnsucht nicht gerade zu beruhigend, dass wir uns nach unseren Lieben sehnen – und zwar nicht nur nach ihren Gesichtern auf dem Handy, sondern ganz real: nach Begegnung mit ihnen, danach, sie live zu sehen, zu berühren und zu umarmen -  den Partner oder die Partnerin in der Fernbeziehung, die Angehörigen, die in einem anderen Land leben. Und wie sehr freuen sich viele Großeltern und ihre Enkel und Enkelinnen aufeinander! Es wird wunderbar sein, sich mit den Freunden und Freundinnen wieder verabreden zu können. Und wie viele Menschen warten mit Sorge und Freude zugleich auf die Zeit, wenn sie ihre Lieben wieder im Altersheim oder auch in der Klinik besuchen können!

Nähe mit Umarmung und Berührung

Ich warte auch darauf, meine Kolleginnen und Kollegen alle zusammen wieder live im Teamgespräch zu treffen – so lange schon ist das nicht möglich. Und ich freue mich auch auf gemeinsame Gottesdienste, auf volle Bänke, auf lauten Gesang ohne Mundschutz, auf den Friedensgruß und schöne Gespräche beim angstfreien Kaffee hinterher.

Was ein Glück – wir freuen uns darauf, uns wieder zu umarmen oder die Hände geben zu können, sich auf der Straße nicht mehr mit großem Bogen auszuweichen – weil wir soziale Wesen sind, weil wir uns brauchen und lieben.

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