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Der Käseladen
Pixabay/Karsten Paulick

Der Käseladen

Sabine Müller-Langsdorf
Ein Beitrag von Sabine Müller-Langsdorf, Evangelische Pfarrerin, Zentrum Oekumene, Frankfurt
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Mit meinem Enkel war ich einkaufen, in einem Käseladen. Der Laden gehörte früher mal meinem Sandkasten-Feind. Ja, Feind, nicht Freund. Der war zwei Jahre älter als ich, groß und stark. Er bewarf mich konsequent mit Sand oder vermöbelte mich. Jedenfalls ist so meine Erinnerung.

Ein Sandkasten-Feind zum hassen

Ich mochte diesen Jungen wirklich nicht leiden. Habe ihm alles Böse an den Hals gewünscht, das ich mir in meinem Kinderkopf damals vorstellen konnte. Auch das erzählte ich meinem sechsjährigen Enkel. Er schaute mich von der Seite an in einer Mischung aus Skepsis und Ehrfurcht und fragte: „Oma hast du den echt gehasst?“

Puuh, hassen, ein großes Wort. Ich höre im Inneren den Satz Jesu: „Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen,“ (Lukas 6,27).  Ich suche nach den richtigen Worten gegenüber dem Kind. „Ob ich ihn gehasst habe? Vielleicht. Aber erst mal hatte ich einfach Angst und wollte, dass der Junge aufhört, gemein zu sein.“ Mein Enkel nickt wissend. Er hat offensichtlich auch einen Sandkastenfeind. Dann meint er, ich sei ja jetzt groß und die Angst vorbei, und ob wir denn wirklich in den Käseladen wollen. Die Skepsis steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Der Käseladen - ein Ort der Erinnerung

Wir gehen in den kleinen Laden. Mein Enkel schnüffelt den Käseduft, wir bestaunen die vielen Käsesorten, eine junge Frau bedient uns, und mein Enkel wispert: „Wo ist dein Sandkastenfeind?“ Als wir aus dem Laden draußen sind, erzähle ich ihm, dass mein Sandkastenfeind leider schon gestorben ist. Viel zu früh, mitten im Leben, mit einem blühenden Geschäft, das sich in der Gegend zu einer exquisiten Adresse für Käseliebhaber gemausert hat. Ich sage meinem Enkel noch: „Ich kaufe hier gerne ein. Denn der Laden erinnert mich an einen Jungen, vor dem ich Angst hatte und an dem ich gelernt habe, wie ich die Angst überwinden kann.“

Freunde und Spiele gegen die Angst

Nämlich indem ich den Weg in den Sandkasten nicht alleine ging. Freunde mitnahm. Zusammen haben wir Spiele erfunden, bei denen viel Sand flog. Nicht gegeneinander, sondern in die Luft. Das machte es dem großen Jungen irgendwann langweilig, selber mit Sand zu werfen. Meine Angst verflog, und damit auch mein Hass. Irgendwann war der Sandkastenfeind ein Nachbarsjunge wie alle andern auch.

Über alte Zeiten reden ...

Später verlor ich ihn aus den Augen. Habe gehört, dass er einen Käseladen betreibt. Eines Tages ging ich dorthin. Der Sandkastenfeind erkannte mich, wir plauderten über alte Zeiten und den Sandkasten und ich muss ihm auch erzählt haben, dass ich anfangs Angst vor ihm hatte.  Am Ende schenkte der Mann mir meinen Einkauf mit den Worten: „War ja echt Käse damals, was ich gemacht hab…“

Miteinander reden, sich entschuldigen, so beginnt Versöhnung. Mein sechsjähriger Enkel dreht sich um, blickt noch einmal in den Laden und sagt: „Vielleicht war der ja gar nicht so böse, wie du dachtest.“  

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