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Böses überwinden
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Böses überwinden

Michael Tönges-Braungart
Ein Beitrag von Michael Tönges-Braungart, Pfarrer

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ So steht’s in der Bibel, im Brief des Apostels Paulus an die Römer (12, 21). Für viele Christen ist das ein Leitspruch für diese Woche.

Das Böse mit Gutem überwinden. Das klingt ja ganz gut – oder vielleicht auch zu gut. Wie du mir, so ich dir – nach dieser Regel geht’s doch eher zu. Da wird mit gleicher Münze heimgezahlt. Hat mich jemand ungerecht behandelt, dann kann er von mir auch nichts anderes erwarten. Ist mir jemand unfreundlich begegnet, zeige ich ihm das nächste Mal die kalte Schulter. Hat jemand mich im Stich gelassen, braucht er auf mich nicht mehr zu zählen. Schließlich kann man sich auch nicht alles gefallen lassen. Und man muss das auch nicht! Manchmal ist es einfach so: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Es gibt Leute, die keine andere Sprache verstehen. Wenn man ihnen nicht auch mal ihre Grenzen aufzeigt, dann treiben sie ihre Bosheit und Unverschämtheit auf die Spitze.

Aber das ist ja auch nicht die Alternative: Entweder das Böse mit Bösem bekämpfen – oder dem Bösen freien Lauf zu lassen. Es geht doch um die Frage: Wie kann das Böse überwunden werden? Manche sagen: Man muss das Böse mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Aber: Das funktioniert nicht. Böses wird nicht durch Böses aus der Welt geschafft. Im Gegenteil. Wer Böses mit Bösem vergilt, wer auf Unrecht mit neuem Unrecht, auf Gewalt mit Gegengewalt antwortet, der dreht nur weiter an der Spirale der Eskalation. Das Unrecht, die Gewalt und das Böse werden nicht weniger, sondern immer mehr. Und vor allem: Wer Böses mit Bösem bekämpft, der läuft Gefahr, selber in den Bannkreis des Bösen zu geraten. Den unterscheidet mitunter nichts mehr von den Menschen, deren Handeln er gerade ablehnt.

Freundlichkeit dagegen wirkt entwaffnend. Wenn mir jemand unhöflich und unverschämt begegnet, kann ich freundlich reagieren. Wenn mich ein Arbeitskollege im Gespräch ungerechtfertigt anmotzt, kann ich zurückmotzen – oder sagen: „Ich glaube, ich habe dich auf dem falschen Fuß erwischt. Komm, lass uns das Gespräch noch mal neu anfangen.“ Und es kann sein, dass er antwortet: „Hast ja Recht. Tut mir Leid, dass ich so gereizt bin.“ Ich kann, wenn die Ehepartnerin oder die Kinder mit schlechter Laune nach Hause kommen, beleidigt reagieren und auch schlechte Laune zeigen – oder ich kann ruhig und ohne Vorwurf fragen: „Was ist denn los, dass du so sauer bist?“ Unerwartete Freundlichkeit kann das Gegenüber verändern. Und: Freundlichkeit steckt an.

Das ist sicher kein Patentrezept für alle Fälle. Und schon gar nicht für schwere politische Konflikte. Da mag es Situationen geben – Grenzsituationen, in denen man dem Bösen Einhalt gebieten muss mit Mitteln, die selber nicht gut sind. Manchmal lässt sich Gewalt nur mit Gewalt stoppen. Aber das kann immer nur der letzte Ausweg und darf nie die erste Möglichkeit sein. Der erste Weg steht in der Bibel: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

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