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Gastarbeiter
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Gastarbeiter

Gabriele Heppe-Knoche
Ein Beitrag von Gabriele Heppe-Knoche, Evangelische Pfarrerin, Kassel
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Heute vor genau 60 Jahren kamen in Deutschland die ersten 50 Gastarbeiter aus Italien an. Das sogenannte Wirtschaftswunder boomte in Deutschland. Deshalb schloss in 1956 die noch junge Bundesrepublik ein erstes Anwerbeabkommen mit Italien. Gastarbeiter wurden sie genannt, weil man davon ausging, dass sie nur vorübergehend in Deutschland bleiben und dann zurückgehen würden. Es kamen nur Männer, Familiennachzug war nicht vorgesehen.

Tatsächlich sind auch viele wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt, aber viele sind auch geblieben. Wir verdanken ihnen zahllose italienische Restaurants, den Siegeszug von Spaghetti Bolognese in deutschen Haushalten und den wunderbaren Schlager von den zwei kleinen Italienern, die so allein sind und von Napoli träumen.

Schon bald wurde um Menschen aus anderen Ländern geworben. Spanier und Portugiesen, 1961 die Türken, auch Marokkaner und Jugoslawen kamen gern zu uns. Nach den Gastarbeitern gab es immer wieder Zuzug aus anderen Ländern: Vietnamesische Boatpeople, Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, Pflegekräfte aus Polen und Rumänien. Alle haben etwas Eigenes mitgebracht. Lebensweisen und Umgangsformen, religiöse Traditionen, eine spezielle Küche. In diesen 60 Jahren ist Deutschland bunter geworden. Zuerst kulinarisch, aber dann auch in Sportvereinen, in Kirchen, Synagogen oder Moscheen. Die Welt rückte näher zusammen.

Bei einer Reise im vergangenen Herbst besuchten wir die Stadt Kayseri in Anatolien. Dort gibt es einen großen Basar mit unzähligen Lädchen. Während zwei Mitreisende bei einem Händler etwas erwerben, warte ich draußen vor der Tür. Da tritt ein Mann zu mir, ganz offensichtlich ein Türke, und spricht mich in fast akzentfreiem Deutsch an: Entschuldigen Sie, ich bin auch aus Deutschland. Brauchen Sie Hilfe, suchen Sie etwas oder soll ich für Sie übersetzen? Wir kommen kurz ins Gespräch. Er ist zu Besuch bei Verwandten. Er strahlt und freut sich, als ich ihm erzähle, wie gut es mir in der Türkei gefällt. Obwohl wir uns gar nicht kennen, fühlen wir uns verbunden. Wir beide aus Deutschland. Die Welt rückt zusammen.

Ähnliches kann man auch in Italien oder Spanien erleben oder im Urlaub in Kroatien. Die ehemaligen Gastarbeiter haben manches von ihrer Kultur bei uns eingetragen und anderes von uns nehmen sie mit zurück. Eine Bereicherung für beide Seiten. Ich frage mich, was wir wohl in 60 Jahren denken werden, wenn wir auf die Zuwanderung im vergangenen Jahr zurückschauen. Was wird daraus bei uns entstehen? Und was wird in die Heimatländer zurückfließen? Ich wünschte, ich könnte dann einmal durch Syrien reisen. Vielleicht würde auch da mich dann jemand ansprechen und sagen: Hallo, ich komme auch aus Deutschland.
 

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