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Für andere singen

Für andere singen

Anne-Katrin Helms
Ein Beitrag von Anne-Katrin Helms, Evangelische Pfarrerin, Erlösergemeinde Frankfurt-Oberrad

Vögel zwitschern sich unbekümmert durch den Tag. So hört es sich jedenfalls für mich an. Mir tut es das Gezwitscher gut. Mir selber erlaube ich diese Unbekümmertheit nur selten. Manchmal mache ich mir Sorgen nicht nur am Tag. Es kommt vor, dass ich schon aufwache, wenn es noch dunkel ist. Dann wälze ich meine Probleme in Gedanken von links nach rechts und wieder zurück. Gerade in diesen dunklen Stunden höre ich manchmal das Lied der Nachtigall, das von draußen in mein Zimmer klingt.

Sie singt wunderschön. Sie singt dann, wenn die anderen Singvögel schweigen. Ihr Lied ist nicht eintönig: mal ist es fröhlich, mal wehmütig. Sie ist da ganz anders als wir Menschen. Uns kommen in der Nacht leicht düstere Gedanken. Kinder fürchten sich vor dunklen Stunden. Einsame fühlen sich nachts noch mehr allein als am Tag. Wem ist da nach Singen zumute?

Die Nachtigall tut es. Als wenn sie die Morgenröte hervorlocken wollte und den Tag herbeirufen. Als wenn sie wüsste: Jetzt ist es noch dunkel, aber es wird auch wieder hell. Jetzt erscheint die Nacht endlos, aber es wird auch wieder Tag. Jetzt erscheint mir vieles so kompliziert, aber wird es auch wieder gut. Mir gefällt es, dass die Nachtigall für alle singt, denen gerade nicht nach Singen zumute ist. Gesang ist ein gutes Mittel gegen Trübsinn und Einsamkeit. Martin Luther hat einmal gesagt: \"Kommt der Teufel und gibt Euch Eure Sorgen oder Gedanken ein, so wehrt Euch frisch und sprecht: ‚Aus Teufel; ich muss jetzt meinem Herrn Christus singen und spielen.“

Das ist ein wirklich guter Rat. Ich kann etwas dafür tun, dem Dunklen und Traurigen in mir nicht die Oberhand zu geben. Oft schaffe ich das auch. Aber manchmal geht es nicht. Dann habe ich einen Kloß im Hals und kriege keinen Ton raus.

Singen kommt an seine Grenzen. Wer zu traurig ist, kann es nicht. Dann ist es gut, wenn andere Menschen bei mir sind. Vielleicht schweigen sie und sind einfach da. Ich habe aber auch mal erlebt, wie eine Freundin angefangen hat zu singen. Ganz leise und zart. Das hat mich sehr berührt. Ich habe gemerkt, wie sich die Traurigkeit in mir legte und ich wieder Hoffnung bekam. Nach einer Zeit konnte ich dann auch selber wieder singen. Vielleicht ist es Martin Luther auch so gegangen, als er das schöne Sommerlied gedichtet hat:

„Die beste Zeit im Jahr ist mein,
da singen alle Vögelein. …
Voran die liebe Nachtigall
macht alles fröhlich überall..“


Ich danke Gott, der die Nachtigall geschaffen hat und dass sie für mich singt. Und ich danke für Freunde, die für mich da sind. Und für mich, damit auch ich für andere singen kann, wenn es dunkel ist.

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