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Freie Entscheidung
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Freie Entscheidung

Dr. Klaus Dorn
Ein Beitrag von Dr. Klaus Dorn, em. Dozent am Kath.-Theol. Seminar, Marburg
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Vor wenigen Wochen war ich mit einer Reisegruppe in Israel unterwegs. Das Programm hatte ich sorgfältig zusammengestellt und so sollte eigentlich nichts schief gehen. Wie üblich wollte ich die Mitreisenden auch etwas in die Frühgeschichte Israels einführen und so besuchten wir auch die Ausgrabungen in Hazor, der wohl früher mächtigsten Stadt in Israel. Es war alles interessant und gut zu erklären. Doch am nächsten Tag, als eine Stadt aus der griechischen Epoche besucht werden sollte, hörte ich vereinzeltes Murren im Bus. Scheinbar war den Mitreisenden eine Ruine genug. Das hat mich nicht weiter gewundert. Israel hat genug anderes zu bieten als Ruinen und das Programm war ohnedies sehr dicht. Ich beschloss also, diese hellenistische Ruine ausfallen zu lassen und stattdessen Schwimmen zu gehen. Lauter Applaus von den hinteren Bänken des Busses bestätigten mich. Ich hatte aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Es gab nämlich auch Protest. Warum wird diese Stadt ausgelassen? Das geht doch so nicht! Sie steht doch im Reiseplan! Jedem Menschen Recht getan ist eine Kunst, die Gott nicht kann, dachte ich mir ein bisschen genervt. Scheinbar war für einige Mitreisenden der Stopp zum Schwimmen bei 35 Grad im Schatten doch keine Alternative und so erklärte ich der kleinen Truppe von Schwimmgegnern mit Engelszungen, warum und wieso ich eine Änderung vorgenommen hatte. Schließlich zog die Gruppe der Nichtschwimmer dann doch die Badekleidung an und sprang ins Wasser. Ging es hier eigentlich um die Stadt, oder ums Prinzip? Ich weiß es nicht.

 

Was sich da an einem relativ unbedeutenden Punkt abgespielt hat, begegnet uns im Leben fast jeden Tag. Eigentlich hatte ich dieses oder jenes geplant und es lässt sich nicht verwirklichen, aus welchem Grund auch immer. Oft genug habe ich überhaupt keinen Einfluss. Und das lässt mich an der angeblichen Freiheit des Menschen zweifeln. Wie frei sind wir denn tatsächlich, um unser Leben selbst in die Hand zu nehmen, es selbst zu gestalten, selbst und autonom zu entscheiden? Wie abhängig sind wir von Menschen und unserer Umwelt, die uns keine Alternativen lassen? Ein Beispiel: Ein junger Mann, drogenabhängig, steckt in der Klemme. Sein Dealer fordert eine immense Summe von ihm für bereits gelieferte Ware. Die Arme des Dealers reichen weit. Sogar im Gefängnis wäre der Junkie in Lebensgefahr, wenn er nicht zahlt. Hat er eine Wahl? Muss er sich nicht Geld beschaffen, ganz gleich wie, um seine Schulden zu begleichen? Er sieht zumindest keinen anderen Ausweg. Und damit stellt sich auch die Frage nach seiner Schuld. Heißt es nicht, dass man nur dann schuldig wird, wenn man sich frei und bewusst für das Falsche, das Böse entscheidet? Der junge Mann hat sich nur einmal falsch entschieden, als er das Zeug zum ersten Mal konsumierte. Alles andere verlief dann weitestgehend ohne oder gegen seinen Willen.

Welche Entscheidungen uns heute abverlangt werden, wissen wir nicht. Wenn wir Glück haben, steht nicht mehr auf der Tagesordnung als jene Entscheidung, die auf der Reise zu treffen war: etwas zu besichtigen oder lieber baden zu gehen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Entscheidung, soweit Sie es in der Hand haben.

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