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Fahr hinaus
Bildquelle: chanwit whanset/Pixabay

Fahr hinaus

Claudia Rudolff
Ein Beitrag von Claudia Rudolff, Rundfunkpfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel
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Menschen, die reich an Erfahrungen sind, haben vieles erlebt und ausprobiert. Sie scheinen zu wissen, welche Wege zum Ziel führen und welche nicht.
Berufsanfänger besprechen gern mit denen, die viele Erfahrungen gemacht haben. Sie holen sich dort Rat und Hilfe. Manchmal sogar ganze Konzepte zum Handeln.
Verliert eine Mannschaft im Sport, heißt es: Wenn es nichts war, war es wenigstens Erfahrung.

Wir alle versuchen ein Leben lang möglichst viele Erfahrungen zu sammeln.
Sie machen uns sicherer.
Es gibt aber auch eine Kehrseite der Medaille- Erfahrungen schränken auch ein. Manche ziehen sich immer nur auf ihre Erfahrungen zurück. Sie sind nicht bereit Neues zu wagen.

Eine Geschichte in der Bibel handelt von Personen, die trotz ihrer Erfahrungen bereit sind, Neues zu probieren. (Lk 5, 1-11).

Die Geschichte geht so: Am frühen Morgen kommen die Fischer mit ihren Booten am See Genezareth an. Die Nacht war erfolglos. Die Fischkörbe sind fast leer und die Netze müssen noch gereinigt werden.
Die Fischer sind müde.
Jesus kommt zum Boot und fordert Petrus auf: Fahr hinaus, wirf noch einmal deine Netze aus!
Diese Worte zeigen: Jesus ist kein Fischer. Der hat gar keine Ahnung: Sonst hätte er gewusst: Wenn nachts beim Fischzug das Netz leer bleibt, dann bleibt es auch tagsüber leer.

Petrus widerspricht müde: „Herr, wir haben die ganze Nacht nichts gefangen“. Mehr sagt er nicht. Er wirft auch nicht seine Erfahrung als Fischer in die Waagschale. Wahrscheinlich ist er zu erstaunt um lautstark zu protestieren. Und dann? Wider besseren Wissens steigt Petrus ins Boot und fährt mit den anderen Fischern erneut los.
„Fahr hinaus –auch gegen deine Erfahrung- fahr hinaus zur Unzeit, wirf noch einmal deine Netze aus“- Petrus ist plötzlich offen für diesen Ruf!

Vielleicht kommt ihm auch das Motto in den Sinn: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Ich weiß es nicht.
Eins lese ich aber aus diesem Text: Petrus vertraut Jesus.
Er traut Jesus zu, dass der mehr Möglichkeiten sieht, als er.

Und dieses Vertrauen wird belohnt: Es geschieht ein Wunder: Die Fischer kommen zurück mit vollen Netzen: Gegen jede Erfahrung füllen sich die Netze nach einer erfolglosen Nacht.

Ob dieser Fang wissenschaftlich zu erklären ist oder ob es sich tatsächlich um ein Wunder handelt, ist mir nicht wichtig.
Mich beeindruckt, dass Petrus Jesus vertraut und sich nicht bloß auf seine Erfahrungen zurückzieht. Und so fällt er vor Jesus nieder, weil er weiß: Diesen Fang habe ich nicht nur meinem eigenen Können zu verdanken. Dieser Fang ist Lohn für mein Vertrauen.

Musik

“Fahr hinaus“! Ich denke da an eine Frau. Sie möchte wieder in ihren Beruf einsteigen. Schon seit 2 Jahren ist sie zu Hause wegen ihrer kleinen Kinder. Sie traut sich nicht zu, Kinder und Beruf unter einem Hut zu bringen. Wie soll ich arbeiten und gleichzeitig für meine Kinder da sein, fragt sie sich.
Eine gute Freundin ermutigt sie immer wieder: „Du hast mehr Organisationstalent als Du denkst. Du wirst Dich mit deiner Auffassungsgabe schnell wieder in deine beruflichen Aufgaben einarbeiten. Du schaffst das!“
Nach einiger Zeit wirken die Worte der Freundin. Sie schenkt ihren Worten Vertrauen. Auf ihr Wort hin wagt sie es und steigt wieder in den Beruf ein.
Und diese Frau erlebt: Auch wenn es manchmal stressig ist, es macht Freude.
Sie bekommt es tatsächlich hin. Die Kollegen freuen sich auch, dass sie wieder da ist und helfen, den Einstieg zu erleichtern. Das hat sie vorher nicht für möglich gehalten und für sie ist es ein Wunder. Sie ist wieder zufriedener und selbstbewusster. Auch die Kinder profitieren davon, obwohl ihre Mama jetzt weniger daheim ist. Das ist ihr Lohn für Ihr Vertrauen.

Neues wagen -das gelingt, wo wir uns von anderen auffordern lassen: „Fahr hinaus, wirf deine Netze aus“- auch wenn Du nicht sicher weißt wie es ausgeht.
Auch wenn alle bisherigen Erfahrungen dagegen sprechen.

Dabei ist es natürlich wichtig, wer es uns sagt. Kaum einer von uns würde jemandem Vertrauen schenken, den er kaum kennt. So war es bei Petrus, der schon einige Zeit Jesus nachgefolgt ist. Er hat erlebt: Jesus meint es gut mit mir.
So war es auch für die Frau wichtig, dass ihre gute Freundin es ihr zugetraut hat.

„Fahr hinaus, wage Neues“- Das können wir von Menschen hören, wenn wir spüren: Sie meinen es gut mit uns. Sie sehen mehr in uns als wir selbst. Menschen, die sagen: „Wir wissen in dir stecken Stärken, die Du nicht im Blick hast“.

Natürlich geht es nicht darum, dass ich blind vertraue. Natürlich kann ich auch scheitern. Ich muss auch in mich hineinhören. Ich muss auch spüren, wo tatsächlich meine Grenzen sind.

Aber trotz schlechter Erfahrungen, die auch ihr Recht haben und berücksichtigt werden müssen, sollen meine Grenzen nicht immer das letzte Wort haben.
Neues zu wagen und zu erleben kann ich da, wo ich denen vertraue, die mir etwas zutrauen. Es mir zutrauen, weil sie in mir und für mich mehr Möglichkeiten sehen als ich.
Und die neuen Erfahrungen von Petrus und dieser Frau bringen mich auf die Idee: Mich umzuschauen in meinem Freundes-und Familienkreis. Vielleicht wartet da auch einer oder eine, dass ich ihr Mut mache, hinauszufahren gegen jede Erfahrung.

Musik

„Fahr hinaus auch gegen Deine Erfahrung!“ Es ist wunderbar zu erleben, wenn jemand mir etwas zutraut und mehr in mir sieht als ich.

Ich schaue oft mehr auf meine Grenzen als auf meine Möglichkeiten. Und das Wunder entsteht, wenn ich dieser Aufforderung vertraue. Ich wünsche mir, dieser Aufforderung nicht nur zu folgen, wenn Menschen sie mir zusprechen. Ich wünsche es mir auch für meine Beziehung zu Gott.

Es gibt nicht nur in meinem Leben Zeiten, wo ich daran gezweifelt habe, dass es Gott gibt. Zeiten, in denen ich nicht gebetet habe oder auch keine Lust hatte, einen Gottesdienst zu besuchen. Mein Glaube war da wie ein leeres Netz. Und gleichzeitig war die Sehnsucht da, wieder zu spüren, dass Gott da ist.
Mir hat es geholfen, anderen gegenüber, meine Zweifel zu äußern.
Und ich habe erlebt: Gut, wenn mich jemand ermutigt hat: „Fahr nochmal hinaus. Gib die Suche nach Gott nicht auf, auch wenn Du müde bist und zweifelst“.
Denn je länger ich mich meinen Zweifeln überlasse, umso mehr frisst der Zweifel sich fest.
Manchmal hat es mir gutgetan, dann doch zu beten. Meine Zweifel zu äußern und das Gespräch mit Gott nicht abreißen zu lassen.

Eine neue Erfahrung war ebenso, als ich 3 Tage einen Pilgerweg mit gegangen bin: Den Elisabethpfad von der Wartburg Richtung Marburg.
Das Wandern, der Wechsel zwischen Stille Phasen und Gesprächen mit anderen über den Glauben, haben mir neue Sichtweisen geschenkt und damit auch allmählich wieder Gottvertrauen.
Ich räume ein: Es geschah nicht gleich ein Wunder, wie in der Geschichte vom Fischfang.
Meine Netze wurden nicht sofort wieder gefüllt. Es hat Zeit gebraucht. Dennoch war es gut, einen Raum zu öffnen.

Manche erzählen auch, dass sie nach Zeiten des Zweifels, wieder neu Gottvertrauen finden konnten durch Musik und Lieder, die von Gott erzählen. Auch sie haben auf wundersame Weise erlebt: Gott lässt mich nicht allein.
Ich möchte meine Erfahrungen des Zweifelns nicht missen. Aber sie sollen nicht das letzte Wort haben.
Es lohnt sich immer wieder auf die Schiffe zu gehen- fahr hinaus zur Unzeit- diesem Ruf will auch ich folgen. Vielleicht ist die Unzeit ja die richtige Zeit.

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