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Eine Hand voll Leben
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Eine Hand voll Leben

Stefan Claaß
Ein Beitrag von Stefan Claaß, Evangelischer Pfarrer und Professor, Theologisches Seminar Herborn
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Haben Sie heute Morgen schon einmal auf Ihre Hände geschaut? Haben Sie sich über sie gefreut? Wie gut, dass diese Hände helfen können beim Aufstehen und Zähneputzen. Sie schalten die Kaffeemaschine ein. Sie klopfen an die Badezimmertür: Frühstück ist fertig! Danke!

Allerdings können Hände auch ganz anders. Vielleicht wummern sie eher an die Badezimmertür: Bist du da endlich mal fertig? Hände zeigen ganz viel davon, wie es in mir aussieht und wie ich mich anderen gegenüber verhalte. Hände sorgen für Handlung.

Der Mann vom Bund kämpfender Gottloser

So wie in dieser kleinen Szene. "Babuschka" hat man früher in Russland eine alte Frau genannt. Im Deutschen könnte man das vielleicht mit Mütterchen übersetzen. Von einer Babuschka in Zeiten der Sowjetunion erzählt diese Geschichte. Sie war auch mitgegangen, als alle Bewohner des Dorfes zur Versammlung in das Gemeinschaftshaus gingen.

Dort hielt ein Parteiredner, Mitglied des "Bundes kämpfender Gottloser", einen Vortrag. Er suchte zu beweisen, dass das Christentum eine überholte, wissenschaftlich unhaltbare Sache sei.

Als Höhepunkt wollte er den Beweis für die Nichtexistenz Gottes so antreten: Ich stehe hier. Wenn es Gott gibt, soll er auf der Stelle einen Engel oder irgendeinen Boten hierherschicken, der mir zum Beweis meines Irrtums und seiner Existenz eine Ohrfeige gibt. Ich warte.

Die Ohrfeige der Babuschka

Stille im Saal, quälende Stille. Das Gesicht des Redners verzieht sich zu einem Grinsen. Plötzlich knarrt es hinten im Saal. Schritte schlürfen nach vorn. Die alte Babuschka baut sich vor dem Redner auf: Einen Engel hat Gott gerade nicht zur Verfügung. Engel haben zurzeit nämlich wichtigere Geschäfte vor.

Aber ich soll euch von Gott den Beweis antreten. Und ehe der Redner vom Bund kämpfender Gottloser schaute, hatte er eine schallende Ohrfeige weg. Alles lachte, der Redner verließ schleunigst den Saal.

Da rief die alte Babuschka triumphierend in die Menge: Christos wosskriesja - Christus ist auferstanden! Und wie mit einer Stimme antworteten ihr die Dorfleute: Er ist wahrhaftig auferstanden! 

Arbeitet Gott mit Ohrfeigen?

Ist das eine Ostergeschichte? So war sie gedacht: Gott schickt dem Redner das verlangte Zeichen. Nicht ganz so, wie er es erwartet hatte.

 

Aber dann frage ich mich: Arbeitet Gott mit Ohrfeigen? Konnte er den atheistischen Redner damit überzeugen? Wahrscheinlich nicht.

 

Für mich ist es eine Geschichte, die wunderbar deutlich macht, wie zwiespältig das Werk unserer Hände sein kann. Die Babuschka, die vorher vielleicht den Enkeln ein Butterbrot geschmiert hat, schmiert nun dem Genossen eine saftige Ohrfeige.

 

Was Hände tun in den letzten Tagen Jesu

 

Ziemlich harmlos gegenüber der Original-Ostergeschichte. Dort haben Hände der römischen Soldaten Jesus misshandelt und ans Kreuz gebracht. Pilatus hat seine Hände in Unschuld gewaschen.

 

Und am Ostermorgen haben sich Frauen auf den Weg gemacht, um den Leichnam Jesu zu salben und ihm damit ein letztes gutes Werk zu tun. Hände können so schreckliche Dinge tun. Und so schöne.

 

An Händen kann man Menschen erkennen. Nicht nur an der Optik: ob Hände rau und abgearbeitet oder zierlich oder pratzig erscheinen. Hände zeigen, was im Herzen wohnt. Darum geht es auch in der weiteren Ostergeschichte.

 

Ostern ist das Fest der Hände

Hände können verletzen und streicheln, töten und liebkosen. Ostern ist ein Fest der Hände. Nach Kreuz und Grab geht es nämlich weiter als ein Fest der Hände. Der Evangelist Lukas erzählt von zwei Freunden Jesu, die sich nach den verstörenden Ereignissen am Karfreitag aus Jerusalem auf den Weg in ein nahes Dorf machen. Die Geschichte ist schnell erzählt.

Der Weg nach Emmaus

Sie sind noch ganz aufgewühlt von dem Tumult in der Stadt. Unterwegs treffen sie einen Fremden und reden mit ihm. In dem Dorf Emmaus angekommen, bitten sie ihn, bei ihnen zu bleiben und mit ihnen einzukehren.

Sie sitzen am Tisch. Und dann heißt es: "Es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn." (Lukas 24, 30+31) Es war nicht die Gestalt, das Gesicht, das den beiden Freunden vertraut vorkam.

Der Ostermoment

Sie schauen auf seine Hände. Wie sie das Brot brechen und teilen. Das ist ihr Ostermoment. Für sie ist Jesus in dieser Geste ganz gegenwärtig: Hände, die Brot und Leben teilen. Später erzählen sie den anderen Freunden in Jerusalem davon.

Das war der Moment, sagen sie, als unser Herz brannte! Dieser Moment verbindet sich in ihrem Herzen mit all den vorherigen Geschichten, als Jesus Brot und Leben mit anderen teilte. Und seit dieser Szene in Emmaus erkennen Christen darin ein Zeichen dafür, dass Jesus Christus immer wieder anwesend ist: Gott danken, Brot teilen, Leben teilen.

Wie meine Oma das Brot schnitt

Die Hände, die das am lebendigsten für mich verkörpern, sind die Hände meiner Oma. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie einen Laib Brot anschneiden. Nicht mit der Maschine, nein. Sie hielt das Brot vor ihrem Bauch, nahm das große Messer und schnitt sehr sorgfältig eine Scheibe nach der anderen ab.

Wenn sie mir dann noch Butter draufgestrichen hat, war das Glück perfekt. Zum Glück ganz anders als die Oma meines Freundes: die war eher wie die Babuschka schnell zur Hand mit einer Ohrfeige.

Mein Freund fand das schlimm. Nicht weil es körperlich schmerzhaft war. Sondern weil er es als demütigend empfunden hat. Ihre Hände hatten vor allem sein Herz getroffen. Von dieser Verbindung zwischen Herz und Händen will ich Ihnen gleich noch erzählen.

Eine Hand kann ehrlicher sein als ein Wort

Hände sind oft ehrlicher als Worte. Als man noch Hände schütteln durfte, habe ich das manchmal so empfunden. Jemand hat gesagt, dass er sich freue, mich zu sehen. Aber die Hände haben mich spüren lassen: so ganz echt scheint die Freude nicht zu sein.

Aber zum Glück gibt es auch die andere Art: jemand winkt mir von ferne so begeistert zu, dass ich diesen Händen ansehe, wie schön es sein wird, sich gleich auch zu umarmen.

Hände zeigen auch Unbewusstes

In der antiken Welt und in biblischen Geschichten taucht immer wieder auf, dass Hände beides können: bewusst handeln einerseits. Und unsere unbewusste Einstellung zeigen andererseits.

Wenn Jesus mit beiden Händen an Ostern das Brot bricht für seine Freunde, dann zeigt er bewusst und unbewusst, wie sehr ihm das Teilen am Herzen liegt. Auf dem Weg hat der den beiden Freunden zugehört. Er hat ihnen von sich erzählt. Er hat sich mit ihnen an den Tisch gesetzt.

Wie schön, wenn was zum Teilen da ist

Und er teilt, was da ist. Ich finde das ein großartiges Lebensprogramm. Wenn Teilen nicht als moralische Pflicht empfunden wird, sondern von Herzen kommt. Wenn ich keine Angst habe, zu kurz zu kommen, sondern mich daran freue, dass wir etwas zum Teilen haben.

Zeit. Brot. Themen. Freundschaft. Hilfe. Was auch immer. Vielleicht ist deswegen Ostern in diesem Jahr für mich ein ganz besonderes Fest der Hände.

Vom Vermissen des handgreiflichen Kontakts

Weil ich den handgreiflichen Kontakt vermisse. Ich habe in den letzten Wochen und Monaten viele Videokonferenzen erlebt. Gut, dass das möglich ist.

Aber mir fehlt, dass mir mal jemand auf die Schulter klopft. Dass mich jemand nicht nur mit dem Ellenbogencheck verabschiedet, sondern mich segnet und mich in den Arm nimmt. Nicht nur zu Hause, sondern in größerer Freundesrunde. Das fehlt mir.

Das Leben blüht neu auf

Aber Ostern ist ein Fest der Zuversicht: das Leben blüht neu auf! Die beiden Freunde aus Emmaus sind zurückgerannt nach Jerusalem und haben den anderen davon erzählt, wie Jesus anwesend war. Ich vertraue darauf, dass er auch heute anwesend ist und es immer sein wird.

Wo Hände Gutes teilen und Herzlichkeit spüren lassen: das ist Ostern. Da braucht es keine Ohrfeige, um zu erleben: Christos wosskriesja. Er ist wahrhaftig auferstanden.

Die Geschichte von der Babuschka steht in der Zeitschrift für Gottesdienst und Predigt 2/96

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