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Die Weisen aus der Fremde
Bildquelle: Pixabay

Die Weisen aus der Fremde

Karl Waldeck
Ein Beitrag von Karl Waldeck, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Heute ist der 5. Januar, der erste Sonntag des Jahres 2020. Das alte Jahr ist zu den Akten gelegt. Gehört auch Weihnachten dazu? Auf dem Bürgersteig habe ich vor Tagen die ersten abgelegten nadelnden, schmucklosen Weihnachtsbäume gesehen. War es das mit Weihnachten 2019? Oder leicht variiert mit Franz Beckenbauer gefragt: „Ja, ist denn jetzt noch Weihnachten?“ Ja, noch ist Weihnachten: Viele Christen, die orthodoxen Christen, feiern morgen, am 6. Januar, Weihnachten: etwa in Russland, Griechenland, Serbien, Rumänien, in der Türkei, Ägypten, in Syrien und im Libanon – und die orthodoxen Christen hierzulande.

Am 6. Januar feiern auch die westlichen Kirchen, gleich ob evangelisch oder katholisch, ein Weihnachtsfest: Epiphanias: Das ist griechisch – und bedeutet übersetzt „Erscheinung“. Die Kirche feiert die Erscheinung Gottes in Jesus Christus. So eine göttliche Erscheinung zu feiern, ist keine Erfindung der Christenheit: Bereits im alten Ägypten oder im römischen Kaiserreich wurde das Erscheinen einer Gottheit oder des gottgleichen Kaisers gefeiert. Doch Weihnachten ist anders: Ein kleines Kind erscheint, geboren wird es unter ärmlichen Bedingungen. Ein ungewöhnlicher Gott!

Die Kirche feiert Epiphanias. Das ist freilich ein Begriff, den fast nur Theologen oder kirchliche Insider kennen und gebrauchen. Volkstümlich und gebräuchlicher ist für den 6. Januar der Name „Dreikönigstag“ oder „Heilige Drei Könige“. In einigen europäischen Ländern ist dieser Tag Feiertag − in katholischen wie Österreich oder Italien oder in lutherisch geprägten wie Schweden oder Finnland. Und auch in drei deutschen Bundesländern, in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt ist das so.

Epiphanias ist als Dreikönigstag bekannt: Auf die drei Könige beziehen sich viele Bräuche, die zum morgigen Tag gehören. Sternsinger ziehen aus, klopfen an der Haustür, singen, wünschen ein gutes neues Jahr und werden dafür belohnt: mit Süßigkeiten oder mit einer Geldspende, die einem guten Zweck zukommen soll.

Schließlich signieren sie die Haustür mit einer Inschrift: der Jahreszahl und dem Kürzel C-M-B. Die volkstümliche Deutung lautet: Es sind die Initialen der drei Könige: Caspar, Melchior und Balthasar. Andere lesen darin das Kürzel für ein Segenswort: „Christus mansionem benedicat“ – „Christus segne dieses Haus“. Ein reiches, volkstümliches Brauchtum; doch was ist der biblische Hintergrund dazu? Wer im Neuen Testament, im 2.Kapitel des Matthäusevangeliums nachliest, wird erstaunt sein.  

Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten.

Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem, und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte. Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten: „Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.“

Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr's findet, so sagt mir's wieder, dass auch ich komme und es anbete. Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und da ihnen im Traum befohlen wurde, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg wieder in ihr Land. 

Musik: Peter Cornelius: Die Könige („Sechs Weihnachtslieder“, op. 8) 

Heilige Drei Könige? Von „Weisen“ ist in der Bibel die Rede, nicht von „Königen“, auch die Zahl Drei fehlt. Dafür wird ausführlich von dem wenig sympathischen Monarchen Herodes berichtet. Genannt werden in der Bibel ausdrücklich der Stern, der die Weisen geführt hat, dazu die Gaben – Gold, Weihrauch, Myrrhe – und deren Adressaten: das Jesuskind und seine Mutter Maria.

Die Bibel berichtet nüchtern: Es machen sich Weise aus dem Morgenland auf, um dem neugeborenen König der Juden ihre Aufwartung zu machen. „Weise“ – der biblische Originaltext spricht hier von „Magoi“, was tatsächlich mit dem Wort „Magie“ oder „Magier“ verwandt ist. Doch es geht hier nicht um Zauberei. Weise zu sein oder ein Weiser, das bedeutet zu biblischer Zeit, jemand zu sein, der das Leben, Himmel und Erde versteht, der die Zeichen der Welt deuten kann; dazu gehören auch die Sterne. Die Weisheit war im Orient eine allgemein bekannte Größe. Für ein tiefes Wissen stand die Weisheit; sie bot zugleich den Maßstab für ein verständiges, gottgefälliges Leben. Einige biblische Bücher – wie das der Sprüche und des Predigers im ersten Teil der Bibel – sind von dieser Weisheit geprägt. Die Weisheit war völkerverbindend; sie verband das eigene Volk mit anderen, auch fremden. Aus der Perspektive eines Menschen aus Israel waren die Weisen aus dem Morgenland tatsächlich Fremde, Ausländer. Ihre Kultur war fremd, ihre Sprache und ihr Aussehen; sie hatten wohl auch eine andere Religion, andere Götter. Ihre Heimat war das Morgenland, vielleicht die arabische Halbinsel, das Zweistromland, also der heutige Irak und Iran, oder gar das nördliche Afrika: Nun machen sich diese Weisen ins jüdische Land auf, zunächst nach Jerusalem, dann nach Bethlehem. Gewiss gab es schon bei den Propheten Israels die Hoffnung, eines Tages würden die Völker, Fremde, die sogenannten Heiden, sich nach Israel und Jerusalem aufmachen, um dort den Gott Israels anzubeten. Doch das war bislang nicht geschehen. 

Die Weisen machen sich auf den Weg. Bei ihrem Studium des Himmels haben sie einen ungewöhnlichen Stern gesehen. Dem wollen sie nachgehen. Sie deuten den Stern als Zeichen dafür, dass etwas Besonderes geschehen ist: Ein Kind, ein Königskind ist geboren, ein neugeborener König der Juden. Wo mag das Kind zu finden sein? Es liegt nahe, am königlichen Hof nachzufragen.
Und deshalb gehen sie zunächst nach Jerusalem. Doch dort weiß man von nichts von einem königlichen Kind. Nicht Freude löst diese Botschaft von der Geburt aus, sondern eher Panik. Ein Königskind - sollte das etwa ein Rivale auf den Thron sein? argwöhnt der amtierende Regent Herodes. Die Weisen folgen lieber dem Stern, verlassen Jerusalem und gehen nach Bethlehem und finden dort Maria und das Jesuskind.
Die biblische Geschichte und das Bild der Heiligen Drei Könige. − „Die Anbetung der Könige“ – ist für viele ein vertrautes Bild: Drei Männer in prächtigen Gewändern, einer von ihnen zumeist knieend, die einem Kind, einem Säugling und seiner Mutter huldigen und Geschenke mitgebracht haben. Oftmals haben die Künstler noch schmückendes Beiwerk auf dem Bild untergebracht: die Reittiere der Männer, Pferde oder auch Kamele. Bei Männern aus dem Orient darf etwas Exotik schon sein.
Es ist ein vertrautes Bild, so sehr vertraut vielleicht, dass man das Ungewöhnliche, das Unerwartete, ja die Provokation, die in dieser Geschichte steckt, leicht übersieht. Man muss es sich vor Augen führen: Drei Männer, Mächtige – huldigen einem Kind, das der „König der Juden“ sein soll, und seiner Mutter. Männer werfen sich vor einem Kind und vor einer Frau nieder. Das muss nicht allein zur Zeit der Entstehung des Evangeliums, in einer patriarchalischen orientalischen Gesellschaft, widersinnig erschienen sein. Doch ist es heute so viel anders? Man stelle sich vor: Die Mächtigen dieser Welt, die man von den G 8 oder G 20 Treffen kennt, beugen ihr Knie vor einem Kind, oder die Wirtschaftsführer des Weltwirtschaftsforums in Davos und dazu die Nobelpreisträger aus aller Welt, die IT und KI-Schöpfer aus dem Silicon Valley, das geballte Wissen der Menschheit also, sie alle huldigen einem Säugling.
Es ist eine verkehrte Welt, die auf diesem Bild gezeigt wird, die Umkehrung selbstverständlich geglaubter Verhältnisse. In diesem Kind, so die Botschaft der Bibel und der Bilder, ist Größeres zu finden als in aller irdischer Macht, gleich ob in Politik oder Wirtschaft; hier ist mehr Weisheit zu finden als in allem gesammelten menschlichen Wissen.
Doch dieses Kind ist nicht einfach ein Superstar; entscheidend ist die Botschaft, die dieses Kind bringt und später selbst leben wird: die Botschaft der Liebe, des Friedens, die allen Menschen gilt.
Allen Menschen ohne Ausnahme: Das Bildprogramm der Heiligen Drei Könige stellt dies auf doppelte Weise dar: Zum einen werden die Könige oft als Vertreter dreier Generationen oder Lebensalter dargestellt: einer als junger Mann, der zweite als Mann im mittleren Alter; der dritte ist alt. Allen – gleich wie alt sie sind − gilt Gottes Liebe; und alle – gleich welchen Alters – können diese Liebe weitergeben. Verschiedenheit, Diversität in Alter und Herkunft.

Auf vielen Bildern, die die „Anbetung der Könige“ zeigen, ist einer der Könige ein Mensch mit dunkler Hautfarbe. Alle Menschen können zu Gott kommen, weil alle Menschen von Gott geschaffen und geliebt sind – ohne Ausnahme. Von Menschen gesetzte Grenzen, sie mögen der Nation, der Herkunft gelten, man denke gerade auch an den Nationalismus und Rassismus unserer Tage, diese Grenzen gelten bei Gott nicht.

In der Anbetung des neugeborenen Kindes und seiner Mutter kommen Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters zusammen. Sie vereint das Lob Gottes. Dieser Lobgesang umfängt die ganze Welt. Das Lied, das wir nun hören, führt uns in den Libanon, also gar nicht so weit von Bethlehem weg. Schwester Marie Kerouz und ihr Ensemble lässt uns in die Klangwelt des Gotteslobs der dortigen Christen eintauchen. Wir hören ein Weihnachtslied aus dem Morgenland: 

Musik: Soeur Marie Keyrouz: „Baytun Maghara“ – „Ya bikra – l-‘abi“

Die Weisen bringen Geschenke mit. Der Evangelist Matthäus sagt nichts zu Namen und Zahl der Männer, wohl aber benennt er ausdrücklich die Geschenke: Die Weisen schenken dem Jesuskind und seiner Mutter Gold, Weihrauch und Myrrhe. In 2000 Jahren Kirchengeschichte hat man sich immer wieder Gedanken gemacht, ob dahinter ein bestimmtes Programm steht, Geschenke mit Absicht und Symbolwert also. Gold als Edelmetall, Zeichen königlicher Würde, Weihrauch für den Kultus des Priesters, schließlich Myrrhe, ein Harz als Heilmittel. Was alle drei Geschenke verbindet, ist, dass sie tatsächlich „königliche“ Geschenke sind. Sie sind kostbar, was bei Gold ganz offensichtlich ist. Weihrauch und Myrrhe galten zudem für die Hörer und Leser des Evangeliums als Importwaren; sie mussten eigens aus fernen Ländern herangeschafft werden. Das machte sie teuer und kostbar – anders als in unseren Tagen: Da schlagen lange Frachtwege zwar ökologisch, aber nicht finanziell zu Buche.

Gold, Weihrauch und Myrrhe: Wichtiger als der Sachwert ist die Tatsache des Geschenkes an sich−- als Zeichen der Verbundenheit. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, sagt man noch heute. Aufrichtig gemeint können sie auch am Anfang einer Freundschaft stehen. Weihnachten und Geschenke – das wird oft in einem Satz, ja in einem Wort gesprochen.

Die Klage darüber, dass das Kommerzielle längst die Botschaft des Weihnachtsfestes überdeckt hat, ist nicht neu. Es ist richtig, sich über das eigene Konsumverhalten und das der Gesellschaft Gedanken zu machen: etwa über die ökologischen Folgen oder wie wichtig mir Materielles ist. Ich habe etwa den „Black Friday“– Wahn des vergangenen Jahres kurz vor dem 1. Advent noch gut im Gedächtnis. Aber das spricht ja nicht gegen das Geschenk und das Schenken an sich. Ich schenke gerne - und lasse mich gern beschenken – alle Jahre wieder, nicht nur zur Weihnachtszeit.

Die Weisen aus dem Morgenland bringen Gaben. Im vergangenen Jahrhundert hat der französische Soziologe Marcel Mauss sich grundlegende Gedanken über das Schenken und Geben gemacht. Dabei stellt er zum einen fest, dass in allen Kulturen und zu allen Zeiten geschenkt wurde und wird. Dabei geht das Schenken über die materielle Seite weit hinaus. In der Gabe mischen sich Person und Sache, man gibt beim Geben stets auch ein Teil von sich und macht, wenn man die Gabe annimmt, auch eine Fremderfahrung des anderen. Gabe und Geber gehören zusammen. Deshalb sind wir auch enttäuscht, wenn ein Geschenk, das wir machen, nicht gut ankommt – oder wenn wir ein Geschenk erhalten, das uns nicht gefällt, vor allem dann, wenn wir den Geber sonst schätzen.

Mit dem Schenken gebe ich auch ein Teil von mir. Die Weisen aus dem Morgenland kommen als Fremde zum neugeborenen Jesuskind, sie fallen vor ihm als Zeichen der Verehrung nieder – und bringen ihm ihre Gaben. Das Jesuskind nimmt die Gaben an und durchbricht so die Fremdheit. In vielen Darstellungen der Szene greift das Jesuskind unbefangen nach den Geschenken, so wie das Kinder gerne tun. Oft wird auch gezeigt, dass das Kind die königlichen Weisen segnet. Aus Fremden werden so Freunde, sie gehören zur Familie Gottes: die Weisen und weniger Weisen, solche die viel schenken können und die, die nur wenig haben. Vor den Weisen aus dem Morgenland hatten die Hirten dem Jesuskind ihre Aufwartung gemacht. Gleich ob fremd, gleich ob reich und arm: Zur Gemeinschaft, die sich auf Jesus beruft, zu seinen Jüngerinnen und Jüngern, zur Kirche können alle Menschen gehören. Sie können sich alle vom neugeborenen Kind, von Gott beschenken lassen und ihrerseits sich selbst Gott schenken. Davon spricht das Weihnachtslied Paul Gerhardts „Ich steh an deiner Krippen hier“. Wir hören es in der Vertonung Johann Sebastian Bachs.

Musik: Ich steh an deiner Krippe hier (J. S. Bach: Schemelli)

 Die Geschichte lädt zum Mitgefühl mit dem Kind und seiner Familie ein. Die Weisen aus dem Morgenland wenden sich dem Kind und seiner Mutter zu, sie geben ihnen etwas. Insofern ist die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland eine Einladung zum Geben, zum Öffnen der Herzen und Hände, eine Einladung zur tätigen Nächstenliebe – in Nah und Fern. Nicht von ungefähr sammeln die Sternsinger unter dem Motto „Kinder helfen Kindern“ ihre Gaben; nicht von ungefähr bittet in der Advents- und Weihnachtszeit „Brot für die Welt“ um Spenden – und das seit 60 Jahren.

Wie aktuell ist die Geschichte? Flucht und Verfolgung, prekäre Verhältnisse: Die Welt ist voll davon – damals wie heute. Die frohe Botschaft der Geschichte lautet: Der Sohn Gottes kommt und Grenzen zwischen Menschen können fallen. Am Ende des Matthäus-Evangeliums schickt Jesus seine Jünger in alle Welt, zu allen Völkern. Bereits auf den ersten Seiten des Evangeliums kommen die Völker in Gestalt der Weisen zum Jesuskind. Grenzen fallen – ein Gegenbild zum Trend der Absonderung, dem Beharren auf dem Eigenen. Das Evangelium kennt wie Jesus keine Angst vor Identitätsverlust, keine Furcht, sich selbst in der Begegnung mit anderen oder dem Fremdem zu verlieren. „Fürchtet euch nicht, siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk wiederfahren wird.“ So verkündigt es der Engel in der Nacht der Geburt Jesu. Diese Weihnachtsbotschaft erfüllt sich bereits einige Tage später: Fremde kommen – und werden in die Gemeinschaft derer, die Jesus und seiner Botschaft des Friedens und der grenzenlose Liebe folgen, mithineingenommen. Das ermutigt mich, diesem Weg zu folgen – auch im neuen Jahr 2020.

Musik: Wie schön leuchtet der Morgenstern, Vocal Concert Dresden

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