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Der Tag der Arbeit und das Reich Gottes

Der Tag der Arbeit und das Reich Gottes

Clemens Scheitza
Ein Beitrag von Clemens Scheitza, katholischer Religionslehrer im Ruhestand, Frankfurt
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Der 1. Mai war für mich eine schöne Unterbrechung der Woche. Aber der 1. Mai als Feiertag will natürlich noch mehr. Er ist auch dafür da, die Bedeutung der Arbeit bewusst zu machen. Arbeit ist ein zentrales Element unserem Leben. Arbeit kann Freude machen, Arbeit kann Lebensfülle sein, Arbeit kann Sinn geben. Und Arbeit ist Geld verdienen, Arbeit ist Lebensunterhalt. Allerdings: Die Entlohnung der Arbeit ist oft ungerecht: Frauen verdienen im Durchschnitt 21 Prozent weniger. In Konzernen verdienen die Führungskräfte das Vielfache dessen, was dort beschäftigte Arbeiter bekommen. Arbeit und Geld macht den Unterschied aus zwischen Reich und Arm, zwischen Schwach und Stark.

Ist die Gleichheit nicht da, weil die einen gewinnen und die anderen verlieren, führt das zu Unruhen in der Gesellschaft. Und umgekehrt gilt: Wenn es sozial ausgewogen zugeht, dann entstehen innerer Zusammenhalt und sozialer Frieden. Unser Wirtschaftssystem baut auf Konkurrenz und Profit. Sie sind starke Antriebskräfte, aber sie können eben auch spalten. Deshalb fordern auch manche Redner auf den Kundgebungen am 1. Mai: Nicht alles darf den Profit, der Marktlogik unterworfen sein: die Einkommensverteilung muss gerechter werden. Wohnen darf nicht zum Spekulationsobjekt werden, sonst wird es unerschwinglich. Alte und Kranke dürfen nicht zur Ware werden. Und die Erde darf nicht grenzenlos ausgebeutet, das Klima belastet werden, sonst ist sie bald unbewohnbar. Menschenrechte dürfen nicht wegdiskutiert werden.

Auch aus christlicher Sicht gibt es einiges zu sagen zum Thema gutes und gerechtes Zusammenleben. Heute, am Sonntag nach dem 1. Mai, wird in den katholischen Gottesdiensten erzählt, wie Jesus nach seiner Auferstehung seinen Jüngern begegnet. Auferstehung: Das bedeutete früher für mich: Jesus ist in eine andere Welt gegangen, eine Welt besser als diese. Ich nenne sie Himmel. Er ist mir vorausgegangen, ich werde ihm folgen. Es gibt ein Himmel, es gibt eine Richtung in meinem Leben, meine Wünsche werden sich erfüllen, wenn auch erst ganz im Himmel.

Heute sehe ich das weiter: Jesus spricht in der Bibel von einer besseren Welt. Und auch, dass sie schon mit ihm begonnen hat. Mit der Auferweckung dieses gekreuzigten Jesus ist das bestätigt worden. Auferstehung bedeutet für die Jüngerinnen und Jünger Jesu: die Hoffnung auf eine bessere Welt ist nicht tot. Sie lebt, ihre Aufgabe ist es jetzt, die Arbeit am Reich Gottes weiterzuführen. Ich glaube: Jesus selbst wollte nicht unbedingt eine neue Religion stiften. Er wollte seinen Jüngerinnen und Jüngern eine neue Lebenseinstellung vermittelt: Nämlich die Zuversicht, dass eine bessere Welt möglich ist und kommt. Eine bessere Welt? Gerechtes Einkommen und ein gutes Leben für alle? Danach sieht es derzeit bei uns ja nicht unbedingt aus. Ich beobachte: Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Eine gerechte Einkommensverteilung ist weit weg. Arbeit wird zu unterschiedlich bezahlt.

Die Erkenntnis ist nicht neu. Verschiedene Versuche gab es schon, das zu ändern. Marx sah das Übel im Privateigentum. Seine Idee: die Bedürfnisse des Menschen stehen an erster Stelle, nicht der Profit. Deshalb soll der Staat Arbeitgeber sein, kontrolliert durch die Partei. Die Partei soll den Willen und die Bedürfnisse der Menschen zum Staat transportieren. Wir wissen, diese interessante Idee ist in der DDR versucht worden. Die meisten Menschen waren damit nicht zufrieden. Ein anderes Modell, aus der Nachkriegszeit der Bundesrepublik: die Soziale Marktwirtschaft: In vielen Punkten abgeleitet aus der christlichen Soziallehre. Auch hier die Vorstellung von gerechter Einkommensverteilung. Konkurrenz und der Profit bleiben der Gradmesser für Rentabilität. Es gibt aber einen vom Staat garantierten sozialen Rahmen. Dieser soziale Rahmen gewährt ein gerechtes Einkommen. Das funktionierte anfänglich auch, doch heute: Der Staat hat sich zurückgenommen und die Profitinteressen sind wieder stärker geworden, die Ungleichheit hat zugenommen. Unfriede droht. Frankreich ist ein Beispiel. Viele machen sich Sorgen, auch ich, weil in unserer Gesellschaft so viel Geld- und Machtgier herrscht. Gerechtigkeit, Gemeinwohl bleibt da auf der Strecke.

Biblische und christliche Grundlage ist für alle sozialen Forderungen für mich grundlegend: Wir sind alle nach dem Bild Gottes geschaffen. Jeder Mensch hat die gleiche Würde und die gleichen Rechte. Und die Menschen sind Bundespartner Gottes. Söhne und Töchter Gottes und Erben des Reiches Gottes. Als Christ glaube ich: Dieses Reich Gottes hat schon jetzt begonnen. Und ich bin davon überzeugt, dass dieses Reich Gottes gerecht ist. In ihm drückt sich die Sinnhaftigkeit des Lebens nicht in Leistungen aus. Jeder Mensch hat ein Anrecht auf ein würdiges Auskommen. Im Reich Gottes ist nicht Konkurrenz, sondern Gemeinwohl wichtig.

Ich habe den Eindruck: Solches Gemeinwohl-Denken hatte einen schweren Stand. Doch jetzt gibt es zum Beispiel die Fridays for Future Bewegung mit Greta Thunberg: Jugendliche machen uns auf die Verantwortung für unsere gemeinsame Zukunft aufmerksam. Die Lust auf Visionen und Utopien war vielfach verschwunden. Ich habe das Gefühl, in unserer Welt orientieren sich viele noch immer eher an einem naturalistischen oder kapitalistischen Lebensbegriff. So: Das Leben ist kurz, nutze es. Tue alles für deine Gesundheit. Schieb das Altern auf, solange du kannst. Wer etwas leistet, ist etwas. Geld adelt. Vermeide es, schwach zu sein. Deshalb: Ich zähle zuerst. Mein Land, Amerika first. Und im Extrem: Nur meine Volksgruppe ist wichtig. Meine Rasse zählt. Da gibt es keinen Blick über den Tellerrand: Die anderen sollen sehen, wo sie bleiben. Ich find dieses egoistische Denken ziemlich beunruhigend.

Ich glaube, man kann auch ohne Religion und deren Hoffnung und Utopien leben, aber für mich wäre es ein reduziertes Leben. Ein Leben ohne Transzendenz, ohne Oberlicht. Ein Leben, das nicht über sich hinausblickt, finde ich, gerät in Gefahr, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Und politisch bedeutet das: Manche Mächtigen lassen sich wie Gott verehren: Führer befiel, wir folgen dir, hieß es unter Hitler. Und heute: viele Menschen folgen selbsternannten Besserwissern. Gerade weil sie martialische, selbstbezogene, ausgrenzende Reden führen.

Auch bestimmte Wirtschaftsmodelle halten manche für alternativlos, ganz sicher zum Ziel einer gerechteren Welt führend. Seien es kapitalistische oder staatsgelenkte. Als Christ habe ich eine kritische Distanz zu so absolut vorgetragenen Vorstellungen. Ich hoffe auch auf eine gerechtere Welt. Eine Welt mit würdigen Arbeits- und Lebensbedingungen für alle. Eine bessere Welt, die uns allerdings in ihrer ganzen Fülle von Gott geschenkt wird. Wir können diese vollständig gerechte Welt also nicht selbst erwirken. Der letzte entscheidende Teil muss uns von Gott geschenkt werden. Jesus ist meine Hoffnung, dass das geschieht. Aus der Freude darüber und im Vertrauen darauf bemühen ich mich als Christ um ein gerechtes, menschenwürdiges Zusammenleben: Der ganzen Fülle des Reiches Gottes entgegen.

An Jesus habe ich begriffen: Gerechtere Welt fängt bei mir selbst an. Wir dürfen uns als Kinder Gottes fühlen. Wir haben erfahren, dass unser Leben gut ausgeht. Diese Freude darüber sollte ansteckend sein. Diese Gewissheit, dass wir unendlich geliebt sind, kann mich zu einem besonderen Umgang motivieren mit mir selbst und mit meinen Nachbarn. Aus der Gewissheit heraus, ich muss nichts erzwingen, sondern bekomme alles geschenkt, kann ich eine Gelassenheit entwickeln, aber gleichzeitig auch eine Radikalität gegen Ungerechtigkeit in der Welt. Als Christ will ich deswegen erst recht einstehen für eine andere, bessere Welt. Eine Welt mit gerechter Arbeits- und Einkommensverteilung eine Welt ohne Hunger und Armut, eine Welt, in der die Würde des Menschen für alle gilt.

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