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Begegnung mit dem Nikolaus
Bild: medio.tv/Kuester

Begegnung mit dem Nikolaus

Karl Waldeck
Ein Beitrag von Karl Waldeck, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Heute ist der 5. Dezember, der zweite Adventsonntag. Zwei Kerzen an unserem Adventskranz brennen schon am Frühstückstisch. Nicht einmal drei Wochen – dann ist Weihnachten!

Schuhe rausstellen für den Nikolaustag

Viele christliche Feste beginnen bereits am Abend – etwa Weihnachten. Das gilt auch für den heutigen Tag. Am Abend des 5. Dezembers stellen meine Frau und ich – jeder und jede für sich – einen Schuh vor unsere Wohnungstür. Denn morgen ist Nikolaustag. Und tatsächlich: Jahr für Jahr sind die Schuhe verlässlich gefüllt – weniger mit Süßigkeiten; es gibt eher ein kleines Buch, eine CD oder einen Kalender für das kommende Jahr. Was spricht eigentlich dagegen, hier den Heiligen Nikolaus am Werk zu sehen – Jahr für Jahr mit einer kleinen Überraschung!?

Musik: Mozart "Ah, vous dirai-je, maman"

Nun kann man einwenden: Ist es nicht etwas seltsam, ja albern, dass zwei Menschen, die längst das sechste Lebensjahrzehnt überschritten haben, alle Jahre wieder ein solches Ritual praktizieren?

Gaben verbinden

Ich denke nicht: Gaben verbinden, kleine Gaben wohl eher noch mehr als große. Sie sind ein Zeichen, dass man den anderen schätzt. Dies gilt für Freunde und Freundinnen ebenso wie für ein nicht mehr ganz junges Paar oder auch unter Kolleginnen und Kollegen. Zum anderen weckt heute der heimische Besuch des Nikolaus Erinnerungen daran, wie ich ihn in der Kindheit erlebt habe. Schließlich drittens – das ist wohl das Entscheidende – lohnt es sich, von Zeit zu Zeit an Nikolaus, den Heiligen Mann und Bischof, zu erinnern, an die Geschichten, die über ihn erzählt werden. Sie haben, davon bin ich überzeugt, auch etwas in unserer Zeit zu sagen.

Meine Kindheitserinnerungen an den Nikolaus

Der Nikolaus der frühen Jahre. Was meine Kindheitserinnerung an den Nikolaus anbelangt, so ist sie spärlich, zumindest was die Begegnung mit ihm von Angesicht zu Angesicht betrifft. Einmal, so habe ich es vor Augen, besuchte uns der Nikolaus in der Wohnung einer befreundeten Familie. Er war von unseren Eltern bestellt worden – für meinen gleichaltrigen Freund und mich. Die Zeremonie war durchaus feierlich: Wir erhielten kleine Gaben, begleitet von lobenden und mahnenden Worten des heiligen Mannes.

Der Nikolaus wurde "enttarnt"

Doch wurde die Zeremonie plötzlich ihres Zaubers entkleidet, als wir feststellen, dass Nikolaus dieselbe Armbanduhr wie der Kollege unserer Väter trug. Seitdem kam der Nikolaus nicht mehr sichtbar zu uns, unsere Schuhe wurden allerdings gefüllt, da war auf den Nikolaus schon Verlass.

Damit hatte alles sein Bewenden. Der Nikolaus agierte im Übrigen im Geheimen wie das Christkind und auch der Osterhase. Was wir aber über ihn sagen konnten: Der Nikolaus hatte ein großes Herz für Kinder – und hat sich Jahr für Jahr an uns erinnert. Das gilt bis heute.   

Musik: Lasst uns froh und munter sein…  (Quadro Nuevo)

Der Heilige – Die Person

So populär Sankt Nikolaus heute sein mag, so wenig ist historisch über ihn bekannt. Es gibt kaum verlässliche Berichte, es überwiegen die Legenden. Er soll im 4. Jahrhundert gelebt haben und man bringt ihn mit der Stadt Myra in Verbindung. Myra, heute heißt es Demre, liegt nicht weit weg von dem nicht zuletzt bei Touristen geschätzten Antalya, also in der heutigen Türkei am Mittelmeer. Zur Zeit des Nikolaus war Myra Teil des römischen Reiches und gehörte zur Landschaft Lykien. Die Gegend war von der hellenistischen Kultur geprägt, man sprach Griechisch.

Myra war Bischofssitz im 4. Jahrhundert

Bischofssitz war Myra seit dem 4. Jahrhundert, hatte also durchaus eine Bedeutung, Dennoch hatte ein Bischofssitz der damaligen Zeit nicht wie heute eine große Kathedrale. Die Nikolauskirche, die heute in Myra gezeigt wird, stammt aus dem 8. Jahrhundert, etwas später wurde auch ein Nikolauskloster gegründet.

Der Heilige Nikolaus hätte ein lokales Ereignis, eine Person von regionalem Ruf bleiben können. Doch es sollte anders kommen: Myra lag an einem wichtigen Seeweg des Mittelmeers.

Nikolaus - über Grenzen hinweg bekannt

Schon vor dem Jahr 1000 verbreitete sich deshalb der Ruf des Nikolaus im südlichen Italien. Und als Myra wenig später militärisch bedroht wurde, handelten italienische Kaufleute schnell. Sie brachten die sterblichen Überreste des Nikolaus nach Bari, wo sie noch heute gezeigt werden. Kultureller Austausch, aber auch Feldzüge verbreiteten den Ruf des Nikolaus auch nördlich der Alpen.

Ein Heiliger für viele Völker

So wurde er ein Heiliger für viele Völker. Das lässt sich an den Namen erkennen, die sich in vielen Sprachen auf den Nikolaus beziehen: Niccolo in Italien, Nicolas auf Französisch, Niclas im Englischen, Klaus im Deutschen, in den Niederländischen ist es Sinta Klaas, der Jahr für Jahr Kinder erfreut.

Vornamen und Kirchen: In nicht wenigen Orten gibt es nach Nikolaus benannte Kirchen – in Hessen etwa im Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim oder nicht weit von hier in Korbach. Korbach war Hansestadt, und nicht zuletzt in Hanse- und Handelsstädten haben die Kaufleute Kirchen gerne nach Nikolaus benannt: in Hamburg etwa oder der estnischen Hauptstadt Tallinn. Der Ruf des Nikolaus wurde über das Meer und andere Handelswege an viele Orte getragen.

Ein ökumenischer Heiliger und beliebt im Volk

Nikolaus ist ein ökumenischer Heiliger – und dabei einer der wenigen Personen der Christenheit, die selber nicht Personal der Bibel sind. – Und doch werden sie geschätzt und verehrt sowohl in den westlichen wie den östlichen Kirchen der Christenheit. Viele russische Zaren hießen Nikolai, auch der letzte. Nikolaus ist unter anderem der Schutzpatron von Völkern wie Russen, Kroaten und Serben sowie von Regionen wie Lothringen und Süditalien. Die Volksfrömmigkeit hat den Bischof von Myra zudem fest ins Herz geschlossen:

Nikolaus als Schutzheiliger

Die zahlreichen Legenden, die man sich über Nikolaus erzählt hat, führten dazu, dass er von vielen Gruppen als Schutzheiliger auserwählt wurde, von Berufen wie Seefahrern und Binnenschiffern, Kaufleuten, Rechtsanwälten, Apothekern, Metzgern und Bäckern, Getreidehändlern, Dreschern, Pfandleihern, Juristen, Schneidern, Küfern, Fuhrleuten und Salzsiedern. Nikolaus ist Patron der Schüler und Studenten, Pilger und Reisenden, Liebenden und Gebärenden, der Alten, Ministranten und Kinder und auch von Dieben, Gefängniswärtern, Prostituierten und Gefangenen.

Musik: Benjamin Britten: Saint Nicholas

Eine bunte Schar! – Man kann sich fragen, was all diese Gruppen miteinander verbindet und der Bischof von Myra mit ihnen zu tun hat? Im Jargon unserer Zeit gefragt: Was ist eigentlich das Profil des Heiligen Nikolaus, was zeichnet ihn aus? Darauf geben etliche der über ihn überlieferten Legenden Auskunft. Nun drei von ihnen – die charakteristisch sind – seien erzählt: In allen dreien geht es um Menschen in Not – und Rettung.

Die Legende von den drei Goldklumpen

Ein verarmter Mann beabsichtigte, seine drei Töchter in die Prostitution zu verkaufen, weil er sie mangels Mitgift  nicht standesgemäß verheiraten konnte. Nikolaus war noch nicht Bischof, doch Erbe eines größeren Vermögens. Er erfuhr von der Notlage und warf in drei aufeinander folgenden Nächten je einen großen Goldklumpen durch das Fenster des Zimmers der jungen Frauen. In der dritten Nacht gelang es dem Vater, Nikolaus zu entdecken, ihn nach seinem Namen zu fragen und ihm dafür zu danken.

Die Legende von der Kornvermehrung

Während einer großen Hungersnot erfuhr der Bischof von Myra, dass ein Schiff im Hafen vor Anker lag, das Getreide für den Kaiser in Byzanz geladen hatte. Er bat die Seeleute, einen Teil des Kornes auszuladen, um in der Not zu helfen. Sie wiesen zuerst die Bitte zurück, da das Korn genau abgewogen beim Kaiser abgeliefert werden müsse. Erst als Nikolaus ihnen versprach, dass sie für ihr Entgegenkommen keinen Schaden nehmen würden, stimmten sie zu. Als sie in der Hauptstadt ankamen, stellten sie verwundert fest, dass sich das Gewicht der Ladung trotz der entnommenen Menge nicht verändert hatte. Das in Myra entnommene Korn aber reichte volle zwei Jahre und darüber hinaus noch für die Aussaat.

Die Legende von der Rettung in Seenot

Und auch die dritte Legende führt in die Welt der Seefahrer:
In Seenot geratene Schiffsleute riefen in ihrer gefährlichen Lage den heiligen Nikolaus an. Ihnen erschien ein mit Wunderkräften ausgestatteter Mann und übernahm die Navigation, setzte die Segel richtig und brachte sogar den Sturm zum Abflauen. Daraufhin verschwand der Mann wieder. Als die Seeleute in der Kirche von Myra zum Dank für ihre Rettung beteten, erkannten sie den Heiligen und dankten ihm.

Musik: Fredy Quinn: Sankt Niklaus war ein Seemann

Die Legenden von Nikolaus erinnern an Jesus-Geschichten

Drei Legenden über Nikolaus – sie berichten von drei Krisen-Situationen und einem glücklichen Ende. Zwei von ihnen sind Wundergeschichten, die Sturmstillung und sichere Navigation auf See sowie die wundersam vermehrte Kornladung. Beide erinnern an Geschichten, die auch von Jesus erzählt werden: die Sturmstillung auf dem See Genezareth und die wundersame Brotvermehrung. Alle werden satt. In allen drei Geschichten zeigt sich Nikolaus als Menschenfreund, als Christ und in zwei Geschichten zugleich als Bischof, als Mann der Kirche. In leitender Position hilft er, er packt an. Nikolaus hat ein waches Auge, er nimmt wahr, was um ihn herum vorgeht, in seiner Stadt geschieht. Er handelt – und zwar zielstrebig.

Legenden fordern auf, in Spuren von Nikolaus zu wandeln

Die Legenden laden deshalb nicht nur ein, sich über ihr glückliches Ende der Geschichten zu freuen und Nikolaus zu danken. Sie sind mittelbar auch Aufforderung, dem Beispiel des Nikolaus folgen: "Gehe hin und tue desgleichen", sagt Jesus, wenn er vom barmherzigen Samariter erzählt. Nun ist Sankt Nikolaus nicht irgendwer, er ist ein prominenter Mann der Kirche.Sein Handeln zeigt deshalb auch, wie Kirche sein soll.

Nikolaus Handeln zeigt auch wie Kirche sein soll

Es ist eine Kirche, die genau hinsieht, wie es Menschen geht, was ihnen fehlt, wo sie auf Hilfe angewiesen sind. Es geht um eine Kirche, die hilft – und zwar umgehend. Hinter den Legenden des Heiligen Nikolaus steht so auch das Bild einer diakonischen Kirche. Mit Blick auf Nikolaus wäre es übertrieben, von einem sozialpolitischen Handeln zu sprechen. Aber Nikolaus verkörpert eine Leitungsperson von Kirche, die Not von Menschen erkennt, sich anrühren lässt und handelt. Nikolaus ist so das Modell eines Helfers und eines Anwalts für die Armen, ja aller Schwachen. Was für den Kirchenmann gilt, ist letztlich allen, die der Kirche verbunden sind, aufgetragen. Die Legenden, die von Nikolaus erzählen, sind ein Appell zu mehr Menschlichkeit – wie sie die jeder und jede leisten kann – im Großen wie im Kleinen. Dieser Impuls hat auch für diese Zeit nichts an Aktualität verloren.

Musik: Lasst uns froh und munter sein

Nikolaus und Weihnachten – Nikolaus im Advent
 

Nicht alle evangelischen Theologen lieben Nikolaus

Morgen früh, so hoffe ich zumindest, hat Nikolaus in unseren Schuhen vor unserer Wohnungstür eine kleine Gabe platziert. Ich freue mich darauf. Tatsächlich ist die Liebe zum Nikolaus unter evangelischen Theologen nicht immer gleich groß gewesen – seit Beginn der Reformation an. Der Hintergrund war der: Schon zu Luthers Zeiten, also vor mehr als 500 Jahren, hatte der Nikolaus Kindern Geschenke gebracht – eine kleine Bescherung kurz vor Weihnachten. Der Heilige als Kinderfreund und Gabenbringer.

Ihr Einwand gegen Nikolaus

Der Einwand evangelischer Theologen lautete damals: Wird damit nicht das Augenmerk auf den Nikolaus, einen Heiligen, gerichtet? Der große Kinderfreund, war das nicht Jesus und ist es nicht das größte Geschenk, dass Gott Mensch wird, Jesus im Stall zu Bethlehem zur Welt kommt? So argumentierten die evangelischen Theologen und wollten den Heiligen Nikolaus, wie andere Heilige auch, – sagen wir – ins zweite Glied religiöser Verehrung schieben. Man kann das auf dem Hintergrund einer Zeit verstehen, in der die Verehrung von Heiligen, nicht allein des Nikolaus, die Jesu Christi fast übertroffen hat.Doch die Dinge stehen heute anders.

Dinge haben sich geändert: Keiner vergisst Weihnachten, weil es den Nikolaus gibt

Wer würde schon Weihnachten vergessen, weil es den Nikolaus gibt, wer auf Weihnachtsbaum und Bescherung verzichten, weil der Nikolaus eine kleine Gabe gebracht hat? Für mich ist der Nikolaustag eher eine gute Einstimmung auf die verbleibende Adventszeit und das Weihnachtsfest, vor allem auf seine Botschaft: Jesus kommt, der Freund der Menschen, nicht zuletzt der Kinder.

Warum sich ein Gedenktag für Nikolaus lohnt?

Seit Jesus gekommen ist, sind viele Menschen ihm nachgefolgt, sie haben aus seinem Geist gehandelt; sie sind so bis auf unsere Tage Zeugen eines lebendigen, tatkräftigen Glaubens. Er bewährt sich im Alltag – mit offenen Augen, einem wachen Herz und freigiebigen, helfenden Händen. Das hat der Bischof vom Myra, Nikolaus, vorgelebt. Deshalb lohnt es sich, an seinem Gedenktag ihn zu erinnern und etwas zu feiern – auch mit einer kleinen Gabe!

Musik: Es kommt ein Schiff, geladen…   (Quadro Nuevo)  

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