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Der Mensch und sein Bild
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Der Mensch und sein Bild

Ein Beitrag von Dr. Frank Meessen

Wer mal was von Bert Brecht gelesen hat, ist in dessen Texten vielleicht auch dem Herrn Keuner begegnet. Er ist zwar eine erfundene Figur, aber gar nicht so weit weg von unseren Alltagserfahrungen. Da wird z.B. Herr Keuner gefragt: „Was tun Sie, wenn Sie einen Menschen lieben?“ Keuners Antwort: „Ich mache einen Entwurf von ihm und sorge, dass er ihm ähnlich wird.“ Bei dieser unklaren Äußerung vermutet der andere, dass der Entwurf dem geliebten Menschen ähnlich werden soll. Aber Herr Kreuner meint es umgekehrt: Er will den geliebten Menschen so umformen, dass er ganz seinem Entwurf entspricht.

Die ehrliche Antwort von Herrn Keuner hat etwas Verblüffendes. Gibt er doch unumwunden zu, dass er an seinem Entwurf vom Mitmenschen – man könnte auch sagen an seinem Vorurteil - gerne festhält, und zwar unter allen Umständen. Ich muss gestehen, dass ich mitunter auch so einen kleinen Herrn Keuner in mir habe. Und zwar nicht nur, wenn es um negative Vor-Urteile geht. Das funktioniert nämlich auch umgekehrt, wenn ich z.B. einen Menschen auf ein bestimmtes Idealbild festlege und keine Schwächen an ihm gelten lasse. Aber dann aus allen Wolken falle, wenn er diesem Idealbild plötzlich vollkommen wiederspricht.

Aber besser kenne ich die umgekehrte Version. Da ist ein Kollege, der mir eigentlich immer etwas eigenartig schien. Ich konnte kaum mit ihm reden, so abweisend und wortkarg schien er. Und dann saß ich in einer Konferenz neben ihm. Die anderen waren schon am Gehen und ich wollte noch etwas von ihm wissen. Daraus ergab sich ganz unerwartet ein Gespräch. Dabei spürte ich: Eigentlich ist er ein offener, nachdenklicher Mensch und keineswegs abweisend. Das hat mich wirklich verblüfft. Da war die ganzen Jahre also Herr Keuner wieder am Werk und ich hatte keine Ahnung davon. Bis zu diesem Zeitpunkt. Ich weiß noch, wie ich an diesem Abend im Auto saß und dachte: wie kann man seinem Entwurf von einem Menschen so auf den Leim gehen.

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