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Wilde Erdbeeren
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Wilde Erdbeeren

Gabriele Heppe-Knoche
Ein Beitrag von Gabriele Heppe-Knoche, Evangelische Pfarrerin, Kassel
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Jeden Sommer wird ein Beet in meinem Garten von wilden Erdbeeren überwuchert. Mit langen, dünnen Auslegern suchen sie sich ihren Weg. Was sonst auf dem Beet wächst, wird unterwandert. Und ehe man sich versieht, sprießen überall zwischen Akelei und Schwertlilien neue Erdbeerpflanzen empor. Selbst vor dem kleinen Tümpel mit Seerosen machen sie nicht Halt. Die Ausleger tauchen ins Wasser ein. Bald schon wachsen aus dem Schlamm am Rand die ersten Pflanzen mit ihren weißen Blüten. Weiter geht es über die Sandsteinmauer. In den Ritzen zwischen den Steinen schlagen die Ausleger besonders gern Wurzeln. So wandern sie dann weiter in den Rasen. Auch dort beginnen sie zu wachsen, bis ich mit dem Rasenmäher vorbeikomme.

Was für eine Energie! Was für ein Lebenswille! Ich reiße sie von Zeit zu Zeit aus, um die anderen Pflanzen zu befreien. Dennoch werfen sie immer wieder neu ihre Ausleger aus und beginnen von vorn. Treiben Wurzeln, bilden die ersten Blätter und gleich auch Blüten und Früchte. Alles zusammen. Sie lassen sich nicht aufhalten.

Mittelalterliche religiöse Darstellungen zeigen solche Erdbeerpflanzen. Sie sollen an den dreieinigen Gott erinnern. Vater, Sohn und Heiliger Geist. Denn die Blätter der Erdbeerpflanze bestehen aus drei Teilen und die Pflanze bringt ihre drei Gestalten gleichzeitig hervor: die Blätter, die kleinen weißen Blüten und die Früchte. Auf einer dieser Darstellungen sitzt Maria mit dem Kind auf dem Schoß in einem Garten auf einer Mauer. Über ihrem Kopf schwebt die Taube als Sinnbild des Geistes. Und unter ihren Füßen wuchern zwischen anderen Pflanzen die Erdbeeren. Die weißen Blüten und die roten Früchte leuchten zwischen den Blättern hervor. So wie in meinem Garten.

Die heilige Hildegard von Bingen, Mystikerin und Heilkundige, hat von der Grünkraft des Heiligen Geistes gesprochen. Grünkraft- dieses Wort fällt mir ein, wenn ich die wilden Erdbeeren in meinem Garten betrachte. Für Hildegard kommt die Grünkraft von Gott. Sie ist Lebensenergie, die die ganze Natur belebt und beseelt. Sie wird gespeist vom heiligen Geist und durchdringt alles: Die Pflanzen, die Tiere, die Steine und natürlich auch die Menschen. „Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit und diese Kraft ist grün“ sagt Hildegard. Sie hat in ihren Visionen tief in den Zusammenhang von Himmel und Erde geschaut.
Schaue ich mir die Erdbeeren in meinem Beet an, begreife ich sofort, was sie meint. Diese belebende Kraft kommt unauffällig und bescheiden daher. Aber sie wirkt in allem, was lebt. Beharrlich und unverdrossen.

So wirkt Gottes Geist auch im Menschen. Er wächst und grünt und blüht in und unter uns. Schenkt uns Kraft und Willen, um Gutes zu tun. Beharrlich und unverdrossen macht er sich jeden Morgen neu ans Werk. Lassen wir ihn wirken!

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