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Laudate omnes gentes
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Laudate omnes gentes

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau
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‚Liebe Zeit, ist das steil‘, schnaufe ich. Und ich bitte meine jüngste Tochter: ‚Mach langsamer, Sophie‘. Wir sind in Athen. Sophie hat sich zur Konfirmation eine Reise mit Papa zu den antiken Stätten Griechenlands gewünscht.

Sie flitzt natürlich voran. Den steilen Weg auf die Akropolis. Akropolis heißt übersetzt ‚Oberstadt‘. Kein Wunder also, dass die berühmteste Sehenswürdigkeit Athens mit dem Parthenon, dem Tempel der Athene, ganz oben liegt.

Kurz vor dem letzten Aufstieg muss eine Pause sein. Auf dem Areopag. Das ist der Hügel des Gottes Ares, da hat in der Antike das oberste Gericht getagt. Wir setzen uns erstmal hin, zu Füßen der Akropolis, und klar machen wir Selfies, mal mit Grinsen, mal mit Grimasse.

Das machen die vielen anderen Touristen auch, wir sind in mitten einer Vielfalt unterschiedlichster Menschen, hören ganz verschiedene Sprachen. Dann soll’s weiter gehen.

Auf einmal hören wir Gesang – ‚Laudate omnes gentes‘ singt da eine Gruppe. Wir stellen uns einfach dazu, singen mit, das Lied kennen wir. Lateinischer Gesang in Griechenland: ‚Lobet den Herrn alle Völker‘ heißt es übersetzt. Andere Touristen kommen auch dazu und singen mit.

Am Ende des Gesangs beginnt sich die Gruppe zu zerstreuen. Ein Kern bleibt stehen. Und die reden in unserer Sprache zusammen. Aber die eigentliche Überraschung kommt erst noch: Wo die Sängerinnen und Sänger denn herkommen, wollen wir wissen, so macht man das ja, wenn man Landsleute in der Fremde trifft.

‚Das werden Sie nicht kennen‘ wird gesagt. ‚Wir sind aus Hessen, aus der Nähe von Marburg.‘ ‚Na, jetzt aber mal genau!‘ fordere ich. ‚Wir sind aus Dautphe‘ ist die Antwort.

In diesem Moment wechsle ich in meinen Heimatdialekt: ‚Unn ech sei vo Änsthause!‘ Großes Hallo, Dautphe und Ernsthausen liegen keine 20 Kilometer voneinander entfernt. Eben war man sich noch ganz fremd, jetzt nahegekommen durch ‚Laudate omnes gentes!‘

Überraschung gelungen. Jetzt reden wir auf Platt weiter. Es gibt sogar gemeinsame Bekannte. Die Dautpher sind mit einer Gemeindegruppe unterwegs – und eigentlich ging’s eben um den Apostel Paulus, der an diesem Ort in Athen Besonderes gemacht hat ….

Paulus ist unterwegs im Namen des Herrn. Vor fast 2.000 Jahren kommt er auf seiner dritten Missionsreise auch durch Athen. Man fordert ihn auf, an einem sehr prominenten Ort seine Botschaft zu verkünden: eben auf dem Areopag, wo wir eben vor dem letzten Aufstieg zur Akropolis Pause gemacht haben.

Für seine Botschaft hat Paulus einen sehr guten Anknüpfungspunkt entdeckt. Die Athener haben für ihre Götter viele Altäre errichtet. Unter ihnen ist auch ein Altar dem ‚unbekannten Gott‘ gewidmet. Paulus weist auf den Altar und sagt: ‚Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.‘ Damit hat Paulus die Athener neugierig gemacht, und mehr als das. Ich denke, er knüpft an eine Sehnsucht an, die ich auch kenne.

Sehnsucht danach, dass mir Gott nahe kommt. Dass mir nicht alles andere, was ich so auf einen Podest stelle – Karriere, Ansehen, Geld, Gesundheit – den Blick auf Gott verstellt. Unbenommen, das ist alles auch wichtig, und die Griechen hatten sogar eigene Götter dafür. Aber meine Sehnsucht geht doch weiter. Nach einem Gott, der mir mehr gibt, als Wohlergehen im Leben. Auch im Leid und Tod  soll er mich nicht verlassen und  mir über den Tod hinaus Leben schenken.

Die Sehnsucht nach Gott ist den Menschen eigen, sagt Paulus. Und dann kommt diese Zusage von Paulus: ‚Er ist nicht ferne von einem jeden unter uns.‘

Gott kennt die Sehnsucht der Menschen. Nähe erfahren, auch wenn vieles fremd und unbekannt ist. Gott geht auf diese Sehnsucht ein. In Jesus kommt Gott zu den Menschen. Jesus verbindet die Menschen mit Gott und untereinander. Wie Jesus mit Menschen redet und wie er mit ihnen umgeht, aus allem spüren sie: Gott ist bei mir, immer und überall. Gott liebt mich. Gottes Liebe verbindet mich mit anderen Menschen. Wer das spürt, der hat Grund für Lob und Dank – Laudate omnes gentes.

Mitten auf einem fremden Platz, mitten unter fremden Menschen gibt Paulus die Botschaft von Gottes Liebe weiter - dass Gott Mensch geworden ist. Durch Jesus kommt er uns nahe. Inmitten vieler Stimmen die Stimme des Glaubens. Die Apostelgeschichte erzählt, dass die Verkündigung des Paulus auf dem Areopag immerhin einige Männer und Frauen erreicht hat.

Ich finde, das ist heute auch noch so. Es gibt die Sehnsucht nach Gott. Paulus gibt darauf die richtige Antwort.

Der ‚unbekannte Gott‘, von dem Paulus den Athenern erzählt ist für mich heute der ‚vergessene Gott‘. ‚Wir haben vergessen, dass wir Gott vergessen haben‘ lautet eine Beschreibung unserer Zeit. ‚Ich brauche Gott nicht.‘ das höre ich nicht selten. So wird Gott unbekannt und anderes oder andere rücken an seine Stelle.

Auch darauf antwortet Paulus: Nicht die Menschen sollten sich Götter erschaffen, aus Stein, Gold oder Elfenbein. Die helfen nicht. Auch nicht das Vergöttern von Ideologien in Wirtschaft und Politik. Der wahre Gott ist selbst Schöpfer und ich bin sein Geschöpf, Gott gibt Leben und will mein Leben gestalten. Das kann mich hinterfragen und mündig machen gegenüber den Göttern dieser Welt.

Antwort auf meine Sehnsucht, Weckruf gegen das Vergessen, das bietet für mich die Rede des Paulus noch heute. Und noch mehr: Unser Erlebnis am Fuße der Akropolis zeigt mir: Glaube schenkt Nähe und überwindet Grenzen.

‚Laudate omnes gentes‘ mit Fremden singen, bei denen sich überraschend Nähe einstellt – für mich ist da auf dem Areopag etwas von Paulus Verkündigung spürbar geworden.

So große Kraft hat der Glaube: er schenkt Nähe, da war es, das oft beschworene  Heimatgefühl –  und er hebet Grenzen auf, indem er verbindet: Die Dautpher und wir haben uns gefreut und viel gelacht – das hat auch andere angesteckt und fröhlich gemacht, auch die, die gar unsere Sprache nicht verstanden.

So sind Sophie und ich dann beschwingt zur Akropolis hochgestiegen, aber das war ja nur eine Station unserer Reise.

Drei Tage später sind Sophie und ich in Olympia angekommen, da, wo die olympischen Spielen ihren Ursprung haben.

Gerade wollen wir das Ausgrabungsgelände betreten, da höre ich jemand rufen. Erst beim zweiten Mal kapiere ich es. Es ist Nordhessischer Dialekt: ‚Hey, Ännstheiser!‘ Da stehen doch tatsächlich die Dautpher wieder.

Fröhliches Wiedersehen, erzählen, wo man inzwischen gewesen ist. Die Dautpher sind auf dem Weg nach Hause, schenken uns noch Briefmarken, weil sie schon alle Postkarten verschickt haben. Da sieht man‘s, denke ich mir: die Begegnung hat sich gelohnt. Natürlich habe ich auch das gefragt, und klar, die Dautpher hören HR1 und kennen die Sonntagsgedanken.

Wir ziehen weiter, haben noch einige Stationen vor uns. Vor dem Poseidontempel auf dem Kap Sounion hören wir wieder Gesang. Diesmal ist es ein amerikanischer Kirchenchor auf Reisen, der einen Gospelsong anstimmt.

Außer den beeindruckenden antiken Stätten nehme ich das mit von unserer Reise: wie gut das tut, Nähe in der Fremde zu erfahren. Im Glauben, der verbindet und Grenzen überwindet. Zu spüren: Gott ist mir nahe. Gott verbindet mich mit anderen Menschen.

Ich denke mir, wir sollten unsere Lieder vom Glauben öfter mal außerhalb der Kirchenmauern zu Gehör bringen – Sehnsucht nach Gott und vergessen Gottes gibt es überall. Da ist es gut, sich an Paulus ein Beispiel zu nehmen.

Ach ja, das darf ich nicht vergessen: An die Dautpher: ‚Schiene Griese voom Pänner aus Ännsthause. Mer seit sich.‘ Für alle, die jetzt sonst was denken, hier die Übersetzung: Schöne Grüße vom Pfarrer aus Ernsthausen. Bis zum nächsten mal.

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