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Ich bin herrlich, ich bin schön Lob des Eigenlobs
Bild von Steve Buissininne auf Pixabay

Ich bin herrlich, ich bin schön Lob des Eigenlobs

Dr. Willi Temme
Ein Beitrag von Dr. Willi Temme, Evangelischer Pfarrer, Martinskirche Kassel
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Ich erinnere mich noch ganz genau an den verregneten Sonntagmorgen. Ich war schon recht früh im Auto unterwegs. Und wie so oft hatte ich auch diesmal das Autoradio eingeschaltet. Es war dieser Sender, hr2, den ich hörte, und es lief gerade die Bachkantate. Durch das trübe Wetter war der Empfang schlecht; immer wieder kratzte und krächzte es aus dem Lautsprecher. Und das war auch der Grund, warum ich meinen Ohren nicht recht trauen wollte. Sang da eine Frauenstimme tatsächlich die Worte „Ich bin herrlich, ich bin schön“? Ich musste mich doch wohl getäuscht haben. Denn meistens klingen ja die barocken Texte aus der Bach-Zeit ein wenig anders. Etwa so: „Ich armer Mensch, ich Sündenknecht“ (BWV 55) – hätte ich das gehört, ich hätte mich nicht gewundert:

Gott ist gerecht, ich ungerecht,
ich armer Mensch, ich Sündenknecht.

So heißt es in der Kantate Nr. 55.

Hätte ich das aus dem Radio gehört, ich wäre weitergefahren, als wäre nichts gewesen. So aber fuhr ich bei der nächstbesten Gelegenheit rechts ran. Denn nun wollte ich es doch genau wissen: Tatsächlich, die Worte, die ich aufgeschnappt hatte, waren richtig. Und es stimmte auch die Fortsetzung:

Ich bin herrlich, ich bin schön,
meinen Heiland zu entzünden.
Seines Heils Gerechtigkeit
Ist mein Schmuck und Ehrenkleid.

Donnerwetter, dachte ich, so etwas hast du doch noch nicht gehört. Und ich wartete den Schluss der Kantate ab, um mir den Titel fest einzuprägen. (Nr. 49: Ich geh‘ und suche mit Verlangen)

MUSIK: Johann Sebastian Bach, Cantatas BWV 82-49-58, Ich bin herrlich, ich bin schön

Ich bin herrlich, ich bin schön,
meinen Heiland zu entzünden.
Seines Heils Gerechtigkeit
Ist mein Schmuck und Ehrenkleid.

Ich sag’s noch einmal: Donnerwetter! Ist das ein Text! Wo gibt es denn das ein zweites Mal in einem geistlichen Zusammenhang, dass sich eine oder einer das traut zu sagen: Ich bin herrlich, ich bin schön! Ja, so herrlich und schön bin ich, dass sich Jesus selbst in mich verlieben muss! Ich kann ihn entzünden mit meiner Schönheit. Ja, liebe Leute, ich gefalle Jesus ausnehmend gut! Nicht zuletzt weil ich so ein schönes Kleid anhabe! Und Schmuck dazu! Und beides hat er mir geschenkt.

Seines Heils Gerechtigkeit
Ist mein Schmuck und Ehrenkleid.

Die da singt und jubiliert, fühlt sich offenbar ganz herrlich leicht und schön. So weit so gut. Aber dass sie’s auch sagt: Ich bin schön! Man muss sich in mich verlieben! – das ist zumindest im kirchlichen Zusammenhang ein klarer Tabubruch. Eine Grenzüberschreitung. Aber wahrscheinlich nicht nur im Rahmen von Kirche.

Denn eigentlich gilt doch bei uns ganz allgemein: Man lobt sich nicht selber, oder etwa nicht? Wir empfinden es doch meistens ein wenig peinlich, wenn jemand sich selbst beweihräuchert.

Und zweifellos sind solche Leute, bei denen sich alles immer nur um sie selber dreht und die immer die größten und schönsten sein wollen - zweifellos sind solche Typen meist schwer erträglich.

Ein gewisser Politiker aus den USA zeigt der Weltöffentlichkeit ja fast täglich, wie toll er ist. Aber auch auf allen anderen Ebenen der Politik gefallen sich die Macher gerne in der Pose „Seht her, was für ein toller Kerl ich bin!“.

Solches Selbstlob ist oft geschmacklos. Solches Selbstlob berührt uns peinlich.

Aber es gibt da auch die andere Seite. Die Schwierigkeit nämlich, ein gesundes Selbstbewusstsein an den Tag zu legen: „Sehe ich nicht schön aus, in dem neuen Kleid?“ „Habe ich das nicht toll gemacht?“ – so ein Selbstlob ist für Kinder noch das Natürlichste von der Welt. Kinder zeigen die Freude darüber, wer sie sind und was sie können, ganz offen und spontan.

Aber mit zunehmendem Alter wird uns solches Selbstlob abgewöhnt. Im besten Fall gilt dann das Eigenlob als nicht fein – „Eigenlob stinkt!“, sagt man. Im schlimmsten Fall aber gilt es als schwere Sünde:

Gott ist gerecht – ich ungerecht.
Ich armer Mensch, ich Sündenknecht.

Ja, die Kirche hat eine lange Tradition darin, das Eigenlob des Menschen zu dämpfen. Da wurde der Mensch oft nur als Sünder gesehen, als einer, der so, wie er ist, nicht recht ist. Und als einer, der es einfach nicht recht machen kann.

Bei dieser negativen Sicht auf den Menschen wurde in der Kirche oft übersehen, dass die Bibel auch ganz anders vom Menschen und seinen Qualitäten reden kann. Die wichtigste Aussage dazu steht gleich am Anfang der Bibel. Da heißt es: Gott hat den Menschen, Mann und Frau, zu seinem Ebenbild erschaffen! (1 Gen 1,27)
Und das kann doch nichts anderes heißen als: der Mensch besitzt Würde und Schönheit. Leider wurde das in der Kirche oft verschwiegen.

Ich bin herrlich, ich bin schön,
meinen Heiland zu entzünden.
Seines Heils Gerechtigkeit
Ist mein Schmuck und Ehrenkleid.

MUSIK: Johann Sebastian Bach, Cantatas BWV 82-49-58, Ich bin herrlich, ich bin schön

Mit dem Eigenlob, wie gesagt, ist das so eine Sache. Wir sind schnell geneigt zu sagen: Eigenlob stinkt. Aber in anderen Ländern und Kulturen sieht das ganz anders aus!

Ich weiß noch, wie es mich beeindruckt hat, als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal in einem arabischen Land war. Unsere Reisegruppe übernachtete bei Beduinen in der Wüste. Und selbstverständlich wurden da auch Gastgeschenke ausgetauscht. Während wir Westler unsere Geschenke mit der Geste der Bescheidenheit überreichten – so als wollten wir sagen: es ist nur ein kleines, bescheidenes Geschenk und im Grunde viel zu wenig! – breiteten unsere arabischen Gastgeber ihre Geschenke mit Selbstbewusstsein und Genuss vor unseren Augen aus. Und sehr wahrscheinlich haben sie dazu auch Worte gefunden wie: Nun seht doch einmal an, was für tolle Geschenke wir für euch haben. Na, da macht ihr Augen, was?

Aha, dachte ich schon damals, so kann es also auch gehen! Man kann sein Geschenk auch groß machen anstatt klein! Und das Verrückte ist: als Kinder haben wir das alle schon einmal gewusst! Guck mal, Mama, was ich dir mitgebracht habe! Guck mal, Papa, wie schnell ich laufen kann!

Wie schade, dass diese Freude, die aus einem gesunden Selbstbewusstsein entspringt, uns oftmals so abhanden gekommen ist.

Was mich betrifft, so ist mir das ursprüngliche kindliche Verhalten des Eigenlobs mindestens in meiner Rolle als Koch niemals verloren gegangen.

Es kommt nicht sehr häufig vor, dass ich für Gäste koche. Aber wenn das geschieht, bin ich manchmal über das Endprodukt richtig begeistert. Ich sage dann selbst oft: „Hmm“ und „Ahh“ und „Schmeckt das nicht toll!“

Ich habe schon erlebt, dass Gäste das merkwürdig finden, dass ich das eigene Essen lobe. Aber ich muss sagen: Ich kann es gar nicht anders. Wenn es mir schmeckt, muss ich’s auch sagen. Egal ob ich’s gekocht habe, oder ein anderer! Ich glaube, das Gute und Schöne will einfach gelobt sein! Wer auch immer es getan hat und wo auch immer wir es antreffen. Auch bei uns selber!

MUSIK:  Johann Sebastian Bach, Cantatas BWV 82-49-58, Ich bin herrlich, ich bin schön

Ich bin herrlich, ich bin schön,
meinen Heiland zu entzünden.
Seines Heils Gerechtigkeit
Ist mein Schmuck und Ehrenkleid.

Wenn ich über das Eigenlob spreche, möchte ich dabei eins auch noch bedenken.

Die schöne Seele, die hier so selbstbewusst singt, sie lobt nicht nur, sondern sie dankt auch. Die schöne Seele weiß nämlich: das was ich bin und kann, das ist nicht alles nur mein Verdienst. Sondern vieles ist mir da auch geschenkt worden. Von Gott oder auch von Menschen.

Der Apostel Paulus sagt: Was hast du, das du nicht empfangen hast? Das ist gut gesagt (1.Kor 4,7). Und in der Tat: das sollten wir uns auch immer wieder klar machen, damit uns unser Selbstlob nicht zu Kopfe steigt!

Die singende Seele weiß: Dass ich so schön und herrlich bin, das hat auch zu tun mit dem wunderbaren Kleid und dem herrlichen Schmuck, die mir von Jesus geschenkt wurden. Und so wird ihr Lobgesang eben auch zum Dankgesang für so viel Schönheit, die ihr zuteil wurde – als Geschenk!

Das ist dann gewissermaßen der Gewinn beim Erwachsenwerden: wir können erkennen, was wir sind und was wir können – es ist nicht alles nur unser Verdienst. Sondern in allem, was wir sind und können, sind wir auch Beschenkte.

Die Bibel sagt: Gott hat uns gemacht zu seinem Ebenbild. Und das heißt: Jedem Menschen hat Gott Würde und Schönheit geschenkt. Da haben wir nichts dazu getan. Wir haben’s bekommen als Geschenk.

Und das heißt auch: Egal, ob du vor den Augen der Menschen schön oder hässlich bist: vor Gott ist da kein Zweifel: du bist schön.

Egal, ob du von Menschen für dein Tun gelobt oder getadelt wirst: vor Gott gilt: deine Würde bleibt unantastbar.

Schönheit und Würde – kein Mensch kann uns das nehmen. Denn beides hat uns Gott geschenkt. Und er nimmt’s auch nicht wieder weg von uns.

Was hast du, das du nicht empfangen hast?

Das können wir uns klarmachen. Aber wir müssen auf keinen Fall wieder zurückfallen in eine falsche Demut, im Sinne von „ich selber bin nichts und ich kann nichts“.

Nein. Vielmehr sollen wir einstimmen in das Selbstlob der schönen Seele in der Bach-Kantate: Ich bin herrlich, ich bin schön! Oder wie der Beter in Psalm 139 (V.10) singt: Ich danke dir, Gott, dass ich wunderbar gemacht bin!

So ein beherzter Lobgesang ist immer auch ein Dankgesang. Und ich bin mir sicher: Gott im Himmel hat seine Freude daran!

Musik J.S. Bach, Kantate 49, Sinfonia

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