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Festjahr für die Königin
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Festjahr für die Königin

Alexander Matschak
Ein Beitrag von Alexander Matschak, Medienkoordinator des Bistums Mainz
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„Mensch, Du spielst doch Orgel!“

Es war beim Elternabend kurz vor der Erstkommunion meiner Tochter. Drei Jahre ist das her. Wir haben darüber gesprochen, wie der Gottesdienst ablaufen wird. Darüber, wer welche Gebete spricht. Und natürlich haben wir über die Musik geredet. Die Pfarrei hatte ein Band engagiert, die die Lieder begleiten sollte. Auf dem Liedzettel standen allerdings auch zwei ganz klassische Kirchenlieder: „Fest soll mein Taufbund immer stehen“ und „Großer Gott, wir loben Dich“. Da hat sich eine Mutter gemeldet und gefragt: „Wäre es nicht schöner, wenn diese Lieder von der Orgel begleitet werden?“ Allgemeine Zustimmung unter den Eltern. Aber: Die Pfarrei hatte den Organisten schon abbestellt. Da stößt mich meine Frau an und sagt: „Mensch, Du spielst doch Orgel.“

Nun, aus der Sache bin ich nicht mehr rausgekommen. Obwohl ich schon einige Zeit keine Orgel mehr gespielt hatte. Also habe ich mir am Abend vor der Erstkommunion den Schlüssel von der Orgelempore geben lassen. Habe mich an die Orgelbank gesetzt und die beiden Choräle geübt. Was soll ich sagen? Es war so ein bisschen wie Fahrrad fahren: Was man einmal gelernt hat, das vergisst man nicht so schnell. Und am nächsten Tag hat es mir wirklich Spaß gemacht, mit vollem Orgelklang die große Gemeinde beim Gesang zu begleiten. Zumal bei beiden Lieder fast alle mitgesungen haben.

Ja, irgendwie gehört sie dann doch für Viele zu einem festlichen Gottesdienst dazu: die Orgel. Und in diesem Jahr steht die Orgel ganz besonders im Mittelpunkt. Denn die deutschen Landesmusikräte haben die Orgel zum „Instrument des Jahres“ gekürt. Landauf und landab finden deswegen Veranstaltungen und Konzerte statt. Und auch in dieser Morgenfeier soll es um die Orgel gehen. Ich will darüber erzählen, was mich an diesem Instrument und am Orgelspielen fasziniert. Und natürlich ein paar Orgelstücke vorstellen.

Losgehen soll es mit einem einfachen Choral: „Großer Gott, wir loben Dich“ – wie bei der Erstkommunion meiner Tochter. Es ist die deutsche Übersetzung des „Te Deums“. Das „Te Deum“ ist ein großer Lob-, Dank- und Bittgesang der christlichen Kirche, vermutlich aus dem vierten Jahrhundert. Der Priester Ignaz Franz hat im 18. Jahrhundert daraus ein Gedicht gemacht, in derselben Zeit entstand auch die bekannte Melodie. Mir geht vor allem die letzte Strophe des Liedes immer besonders zu Herzen. Sie lautet: „Herr, erbarm, erbarme dich. Lass uns deine Güte schauen; deine Treue zeige sich, wie wir fest auf dich vertrauen. Auf dich hoffen wir allein: Lass uns nicht verloren sein.“ (2:20)

Musik 1: Paul Damjakob: Danklied - „Großer Gott wir loben Dich“ (CD: Du meine Seele, singe. Werke von Paul Damjakob [14]  5:37-7:23 oder 8:00-9:10)  

Meine zerflederte Orgelschule

Sie ist schon ganz aus dem Leim gegangen und zerfleddert – meine alte Orgelschule. Es sind nur noch wenige Bindfäden, die die einzelnen Blätter zusammenhalten. „Keller – Die Kunst des Orgelspiels“ steht auf dem ziemlich vergilbten und befleckten Deckblatt, das eigentlich mal rosafarben war. Dreißig Jahre ist meine Orgelschule jetzt schon alt. Denn ich war 16 Jahre und habe ganz passabel Klavier gespielt, da hat mich mein Heimatpfarrer gefragt: „Alexander, hast Du nicht Lust, Orgel spielen zu lernen?“ Er brauchte eine Vertretung für unseren Organisten. Ich war ganz überrascht. An so etwas hatte ich noch nicht gedacht. Ich habe immer gerne gesungen. Aber selbst die Gemeinde beim Singen begleiten? Meine Klavierlehrerin war selbst Organistin und überzeugte mich. Und dann wurde ich Kirchenmusikschüler im Bistum Limburg.

Für den Unterricht hatte ich die Orgelschule über die „Kunst des Orgelspiels“ bekommen. Und dann ging es los. Tag für Tag bin nachmittags in die Kirche gegangen und habe geübt. So habe ich viele Stunden mit der Orgel und in der Kirche verbracht. Zwei Jahre lang ging der Unterricht, dann habe ich meine ersten Gottesdienste an der Orgel begleitet. Und natürlich hat auch das meinen Glauben geprägt. Es klingt vielleicht ein wenig pathetisch, aber: All die Musik hat mich näher zu Gott gebracht. Es hat mich wirklich erfüllt, Menschen beim Singen zu begleiten. Denn es heißt ja nicht umsonst: Wer singt, betet doppelt.

Musik 2: Johann Sebastian Bach: Praeludium G BWV 541 (CD: Die Klais-Orgel in der Liebfrauenkirche Oberursel (Nicolo Sokoli) [1] 3:10).

Düdelüht  

Es ist eines meiner Lieblingsbücher: „Tadellöser und Wolff“ von Walter Kempowski. Kempowski erzählt in diesem Roman die Geschichte seiner Kindheit und Jugend in Rostock während des Zweiten Weltkriegs. Ein Kapitel des Buches handelt von einem Besuch des jungen Walter in der unzerstörten Rostocker Marienkirche – die einzige Kirche, die die nächtlichen Bombenangriffe überstanden hatte. Und Kempowski schreibt über diesen Besuch: „Beim Aufschließen der Kirche war ich voll Spannung: Übte der blinde Frahm? Tatsächlich: ,Düdelüht!‘ - Toccata und Fuge d-Moll. Unter den widerhallenden Orgelklängen schritt ich durch das Querschiff, ängstlich darauf bedacht, nicht auf die gusseisernen Heizungsplatten zu treten, die so ein hässliches Geräusch verursachten, und dann hätte der oben womöglich aufgehört.“

Düdelüht. Mit diesen drei Silben beschreibt Kempowski den Anfang des mit Abstand wohl berühmtesten Orgelstücks überhaupt. Die Toccata und Fuge in d-Moll von Johann Sebastian Bach. Und ich glaube: Wohl so ziemlich jeder weiß, um welches Stück es sich handelt, wenn sie oder er die ersten drei Töne hört. Auch wenn man sonst vielleicht nicht viel mit Orgel- oder gar Kirchenmusik am Hut hat. Und es nimmt unter den Top Ten der klassischen Musik sicher einen der vorderen Plätze ein. Neben „Der kleinen Nachtmusik“ von Mozart oder dem Beginn der fünften Sinfonie von Beethoven.

Jahrelang war unbestritten: Das Werk ist eine Jugendkomposition von Bach, sie soll in seiner Arnstädter Zeit geschrieben worden sein. Also, als Bach so etwas 18 Jahre alt war. Aber: Ein Autograph von Bach, also eine originale Handschrift, gibt es nicht, nur Abschriften seiner Schüler. Es gibt Vermutungen, sie sei eine aufgeschriebene Improvisation von Bach. Oder die Bearbeitung einer Komposition für Violine. Oder am Ende gar nicht von Bach selbst. Wie dem auch immer sei: Ich finde, es ist ein Orgelstück, das packt und mitreist. Jeden, der es hört.

Und mir fällt bei diesem Werk auch ein Satz ein, den Bach an den Rand seiner Bibel schrieb: „In der Musik ist Gottes Gnade gegenwärtig.“ Bach war kein Theologe, er war Musiker. Ein gläubiger Musiker – davon bin ich überzeugt. Für Bach war die Musik selbst Andacht und Gebet. Das ist ein wunderbarer Gedanke, finde ich. Und nicht umsonst wird Bach ja auch der „fünfte Evangelist“ genannt. Er konnte die Musik zu einem Medium machen, in dem Glaube sinnlich erfahrbar wird (https://www.evangelisch.de/taxonomy/term/18519). (2:30)

Musik 3: Johann Sebastian Bach (1685-1750): Toccata d BWV 565 (CD: Bach, Orgelwerke (Herbert Tachezi) [1] bis 2:29).  

Faszination Improvisation

Eine Sache ist für mich beim Orgelunterricht anfangs eine besondere Herausforderung gewesen: das Improvisieren. Also das Musizieren ohne Noten, ganz aus dem Stegreif. Das kannte ich von meinem bisherigen Musikunterricht überhaupt nicht: Plötzlich musste ich musikalisch selbst kreativ sein. Aber für Organisten ist das ganz normal: Sie müssen improvisieren können. Das ist sogar ein richtiges Unterrichtsfach, und für meine Prüfung musste ich auch eine Improvisation vorbereiten. Denn: Improvisieren muss man im Gottesdienst fast immer. So ist jedes Vorspiel vor einem Lied im Gottesdienst eine kleine Improvisation. Klar, sie orientiert sich an dem Lied, das gleich von der Gemeinde gesungen wird. Aber alles andere entsteht im Moment des Spielens.

Natürlich: Ich setze mich beim Improvisieren nicht einfach ans Instrument und spiele irgendwie drauf los. Ein paar Voraussetzungen braucht es schon. Fürs Improvisieren muss ich mein Instrument technisch schon einigermaßen beherrschen. Ich muss unterschiedliche Musikstile und ihre Besonderheiten kennen. Ich muss mich in Harmonielehre und Kontrapunkt auskennen. Und und und. Das hört sich jetzt ganz schön anspruchsvoll an. Und das ist es auch. Aber: Gute Improvisationen können faszinierend sein. In einem Orgelkonzert habe ich einmal Folgendes erlebt: Der Organist hatte vor dem Konzert die Zuhörer gebeten, bekannte Melodien mitzubringen. Das hatten dann tatsächlich einige gemacht. Und der Organist hat eine ganze dreisätzige Sonate über diese Melodien improvisiert.

Und manche Improvisationen sind so gut, dass sie nachträglich dann doch aufgeschrieben werden. Ein berühmtes Beispiel ist „Der Kreuzweg“ des französischen Komponisten und Organisten Marcel Dupré. Im Februar 1931 fand in Brüssel ein Passionskonzert statt. Dafür hatte man Dupré eingeladen, über die 14 Stationen des Kreuzweges von Jesus Christus zu improvisieren. Und das ist ihm so gut gelungen, dass er die Improvisation in Noten aufgeschrieben hat. Das Werk gehört heute zu den bekanntesten Kompositionen Duprés.

Ganz besonders mag ich die achte Station. Sie heißt „Jesus tröstet die weinenden Frauen.“ Es ist eine ergreifende musikalische Meditation – trostreich und innig. Zuerst vernimmt man den Klagegesang der Frauen, dann im Soloregister die zuversichtliche Stimme Jesu. Dupré selbst schätzte diese Station sehr, denn er hat sie oft in seinen Konzerten gespielt. (2:20)

Musik 4: Marcel Dupré (1886-1971), Kreuzweg VIII (CD: Zuzana M.M. Ferjencikova, Marcel Dupré, Kreuzweg [16] 5:57 à bis ca. 3:32).  

organ2/ASLSP

Orgelmusik: das ist nicht nur Bach, Reger oder Mendelssohn. Es gibt auch ganz viel moderne Orgelmusik. Und auch manchmal etwas verrückte Sachen. Wie zum Beispiel das Orgelstück organ2/ASLSP. Ziemlich seltsamer Titel, oder? Es ist eine Abkürzung und steht für „As slow as possible“ – „So langsam wie möglich“. Geschrieben hat es der US-amerikanische Komponist John Cage. Die Uraufführung der achtseitigen Partitur dauerte 29 Minuten. Es gibt auch eine CD-Aufnahme: Die dauert 71 Minuten.

Aber das ist alles nichts gegen die Aufführung in der Burchardi-Kirche in Halberstadt: Als langsamstes und längstandauerndes Musikstück der Welt wird es hier 639 Jahre lang aufgeführt. Am 5. September 2001 begann die Aufführung. Die ersten Töne gab es allerdings erst 2003 zu hören, da das Stück mit einer Pause beginnt. Für die Aufführung in Halberstadt wurde eigens eine Orgel gebaut: Mittels kleiner Steinsäckchen werden die Windkanäle des Instruments offen gehalten. So können die Pfeifen Tag und Nacht, Monat für Monat, Jahr für Jahr erklingen. Tonwechsel finden nur alle paar Jahre statt.

Klar, in dieser Morgenfeier ist es nicht möglich, sich dieses Werk anzuhören. Ich möchte trotzdem ein Orgelstück mit moderner Klangfarbe vorstellen – obwohl es auch schon fast 90 Jahre alt ist. Und wie bei John Cage ist auch diese Komposition sehr langsam. Sie stammt von dem französischen Komponisten Olivier Messiaen und heißt „Apparition de l’Église éternelle“. Auf deutsch: „Erscheinung der ewigen Kirche“. Und wie ein Erscheinung ist das Stück auch komponiert: Es beginnt ganz leise, steigert sich zu einem gewaltigen Fortissimo, um dann im Pianissimo zu verschwinden. Ich war 17 Jahre alt, als ich es zum ersten Mal gehört habe. Und es war eine meiner ersten Begegnungen mit moderner Musik. Noch heute bin ich gebannt von den Klängen dieses Werkes. (2:00)

Musik 5: aus: Olivier Messiaen „Apparition de l’Église éternelle“ (CD:

Olivier Messiaen (1908-1992): Apparition de l’Église éternelle - Oevre pour Orgue (Olivier Messiaen) [3] 10:13 à bis 2:46 oder 3:26 oder 3:53 oder 4:10).  

Die Orgel ein ganz besonderes Instrument

Sie ist das Instrument des Jahres: die Orgel. Ich habe in dieser Morgenfeier eine kleine Reise zu diesem wunderbaren Instrument unternommen. Habe über das Orgelspiel und für mich wichtige Orgelstücke erzählt. Und natürlich gäbe es noch so viel anderes zu berichten. Zum Beispiel, dass es in Deutschland rund 50.000 Orgeln gibt. Dass in Kiedrich im Rheingau eine der ältesten spielbaren Orgeln der Welt steht. Oder dass es in Gießen eine Orgel gibt, die man mit Google Streetview besichtigen kann.

Oft ist in dieser Morgenfeier der Name von Johann Sebastian Bach gefallen. Ihm soll die letzte Musik gewidmet sein. Der Komponist Franz Liszt hat über den Namen Bachs ein Orgelstück geschrieben: Präludium und Fuge über „B-A-C-H“. Denn der Name Bach entspricht den Noten B-A-C-H. Ich finde: das ist großartige Musik, hochvirtuos und klanggewaltig. Und es zeigt mir: Die Orgel ist für mich ein ganz besonderes Instrument. Ihr stehen die höchsten und tiefsten Töne zur Verfügung. Sie kann spielend ein ganzes Orchester übertönen. Sie kann aber auch mit zärtlichsten Klangfarben verzaubern. Und nicht umsonst hat Wolfgang Amadeus Mozart über das Instrument gesagt: „Die orgl ist doch in meinen augen und ohren der könig aller instrumenten.“ (1:15)

Musik 6: Franz Liszt: Präludium und Fuge über „B-A-C-H“ (CD: Famous Organ Musiv, CD 9 [3] 13:25, 3-4 min / Fade out).  

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