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Ein freundliches Gesicht
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Ein freundliches Gesicht

Tobias Stübing
Ein Beitrag von Tobias Stübing, Redakteur, Evangelisches Medienhaus, Kassel
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"Wir schaffen das!" – Aus 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel ist vielen Menschen dieser Satz besonders präsent. Die Bundeskanzlerin hat ihn im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 gesagt. Damals waren über 800.000 Schutzsuchende nach Deutschland gekommen. Und viele Menschen standen der Zuwanderung skeptisch gegenüber.

Mir persönlich ist aus den 16 Merkel-Jahren ein anderer Satz besonders in Erinnerung geblieben. Auch er ist im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise gefallen. Die Bundeskanzlerin reagierte auf die Kritik zu ihrer Flüchtlingspolitik ungewöhnlich emotional und angefasst. Sie sagte damals: "Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land."

In Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen. Das bewegt mich bis heute. Denn das zu tun ist nicht ganz leicht. Zuerst einmal muss ich mich meinem Gegenüber zuwenden, um seine Not überhaupt zu erkennen. Sich dann aufraffen, dem anderen zuhören, die eigenen Probleme in den Hintergrund stellen, Kraft aufbringen, um zu helfen – das ist nicht einfach.

Diesen Gedanken hat Angela Merkel vorgestern wieder aufgegriffen, als sie mit einem großen Zapfenstreich verabschiedet wurde. Sie sagte: "Ich möchte dazu ermutigen, die Welt immer auch mit den Augen des anderen zu sehen." Das ist nicht nur ein menschliches Motiv – sondern auch ein zutiefst christliches. Nämlich das Motiv der Nächstenliebe. Erst dann, wenn ich versuche, meine Mitmenschen zu verstehen, kann Nächstenliebe wachsen.

Gleichzeitig hat die scheidende Kanzlerin betont, dass es in einer demokratischen Gesellschaft keine Toleranz für Hass, Hetze und Fake News geben könne. Und ich finde, das ist kein Widerspruch zur Nächstenliebe. Im Gegenteil. Dort, wo ich mit offenen Augen und Ohren auf meine Mitmenschen zugehe, kann ich auch sagen: Ich sehe das anders als du. Deine Aussagen sind falsch. Du schadest damit dir und anderen. Nächstenliebe hat also viele Facetten. Aber die wichtigsten Komponenten bleiben, um es noch einmal mit den Worten von Angela Merkel zu sagen: "Offene Augen und ein freundliches Gesicht."

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