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Den Frieden leben
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Den Frieden leben

Dr. Udo Markus Bentz
Ein Beitrag von Dr. Udo Markus Bentz, Erzbischof des Erzbistums Paderborn
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Seit März, seit Corona hatte ich so viele Videokonferenzen wie nie zuvor. Mit einem Mal waren alle herausgefordert, gute und pragmatische Lösungen zu entwickeln für das, was nicht mehr ging. Digitalisierung war das Schlagwort. Auch innerhalb der Kirche hat es einen Digitalisierungsschub gegeben: Gottesdienste mit Live-Chat. Gemeinsam beten über Videoschaltung - sogar international vernetzt. Das digitale Seelsorgegespräch suchen in Lebenskrisen. Gruppenstunden für Jugendliche oder Katechese über Video. Und Chöre haben tolle Gesangsstücke virtuell produziert, einzeln gesungen und dann zusammengeschnitten und als Video gesendet. Natürlich gab es Telefon- und Videokonferenzen ohne Ende… Klar: Nicht alles lässt sich mittels einer virtuellen Konferenz besprechen. Andererseits ergeben sich neue Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren. Eine solche neue Möglichkeit war für mich ein Gespräch in der vergangenen Woche mit Missionaren aus unserem Bistum – aus drei Kontinenten zusammengeschaltet. Ein Priester aus Paraguay und zwei Ordensschwestern aus Südafrika zusammen mit meinen Mitarbeiterinnen und mir in Mainz. Die Welt zu Gast im Videochat.

Musik 1: Thomas Gabriel, Santo, aus: Misa de Solidaridad [5 | 3:18].

Miteinander im Kontakt sein – über Tausende Kilometer hinweg, in meinem Arbeitszimmer. Toll, dass so etwas geht. Ich war froh, im direkten Gespräch über die unmittelbare Situation vor Ort etwas zu erfahren und zu erleben, wie sich die Schwestern in Südafrika und der Priester in Lateinamerika gegenseitig ermutigen. Die Technik macht es möglich, enger zusammenzurücken. Gespannt haben wir in Mainz den Berichten aus dem Corona-Alltag in Paraguay und Südafrika zugehört. 

In diesen Ländern hat sich die ohnehin schon prekäre Lage für viele noch einmal verschärft. Pater Miguel aus Chaco im nördlichen Paraguay berichtet: Durch den Lockdown haben nicht nur einige Menschen, sondern fast alle die Arbeits- und damit Einkommensmöglichkeiten verloren. Die meisten jagen und sammeln, um sich zu ernähren. Das geht, so sagt Pater Miguel. Man muss nicht verhungern. Manche aber ernähren ganze Großfamilien mit Gelegenheitsarbeiten auf Farmen. Das ist vor allem im benachbarten Argentinien möglich. Doch die Grenzen dorthin sind seit Monaten dicht.

Die Krise verstärkt, was vorher schon war!

Erschüttert haben mich die Berichte über die Korruption in Afrika und in Südamerika. Natürlich war das auch schon ein Problem vor Corona. Aber mit der Krise ist es dort wie bei uns wie mit einem Brennglas: Die Krise verstärkt, was vorher schon war. Was gut gelaufen ist an Engagement und Zusammenhalt, das läuft jetzt in der Krise noch besser. Missstände hingegen zeigen sich in der Krise noch unbarmherziger. Manche Leute an zentralen Schaltstellen haben sich an den eingekauften Hilfsgütern und den Spenden auf kriminelle Weise bereichert. Lieferanten für den Lebensmittel- und Sanitärbedarf nutzen die Krise und lassen die Preise explodieren für mehr Profit. Die eigene Familie und die Freunde werden bevorzugt. Ohne Beziehung geht gar nichts. Das war schon immer so, sagen die Missionare. Jetzt aber passiert das noch ungehemmter in viel größerem Ausmaß. Ein Auto für Pater Miguel, das durch das Bistum Mainz gespendet wurde, befindet sich auch nach vier Monaten immer noch im Zoll. Ich bin sehr dankbar zu sehen, wie sich unsere Missionare gegen solche korrupten Mechanismen stemmen. Die allermeisten Spenden kommen sicher an. Gerade jetzt sind sie so wichtig wie vielleicht noch nie. 

Das Gespräch mit den Missionaren hat mir anschaulich gezeigt: Frieden und Zusammenhalt, dort ohnehin fragil, sind jetzt durch die Krise massiv bedroht. Wie gut, dass es engagierte Menschen wie z.B. Pater Miguel in Paraguay oder die Ordensschwestern in Johannesburg mit ihren Organisationen gibt. Sie engagieren sich ganz konkret und mit ganz alltäglichen Projekten für Frieden und Zusammenhalt. Hier erlebe ich Kirche nah am Menschen, engagiert für die Schwachen und mutig im Eintreten für Gerechtigkeit. Und ganz viele Menschen in Deutschland unterstützen dieses Engagement mit ihren Spenden.

Musik 2: Da pacem, Domine, aus: And on earth, peace [12 | 1:35].

Die Krise verstärkt, was ohnehin ist. Frieden und Zusammenhalt sind bedroht. Das merken wir ja auch bei uns in Deutschland im Umgang mit der Coronakrise. Ja, Corona hat gezeigt: Es gibt ganz viel Zusammenhalt. Aber je länger die Krise andauert, umso mehr hat sie das Potential, Unruhe und Streit zu stiften. Gerade jetzt – das ist meine Überzeugung – braucht es ein Wort des Friedens und noch viel mehr Taten und Initiativen, die Frieden und Solidarität leben - weltweit. 

Ein Netzwerk der Solidarität und des Gebets

Heute startet die katholische Kirche den Monat Oktober als Monat der Weltmission. Im Mainzer Dom findet heute Morgen der zentrale Eröffnungsgottesdienst statt. Am letzten Sonntag im Oktober, am sogenannten Sonntag der Weltmission, wird er mit einer großen Kollekte beendet. Mission meint heute, dass die Christen weltweit im Geist des Evangeliums ein Netzwerk der Solidarität und des Gebetes knüpfen mit den Ärmsten der Welt. Mission meint, sich gegenseitig zu stärken, das Evangelium der Barmherzigkeit zu leben. Dazu hat das Hilfswerk missio diesen Monat der Weltmission mit einem Leitwort überschrieben, angelehnt an die Bergpredigt im Matthäus-Evangelium: „Selig die Frieden stiften – solidarisch für Frieden und Zusammenhalt.“ Im zentralen Eröffnungsgottesdienst der Kampagne heute morgen im Mainzer Dom wird ein Friedenskreuz im Mittelpunkt stehen - als Zeichen für den festen Willen aller Engagierten, Frieden zu stiften. 

Es trifft besonders die Ärmsten

Die Coronapandemie beeinträchtigt das Leben in nie dagewesenem Ausmaß. Sie trifft besonders die eh schon Armen und an den Rand Gedrängten. Sie verschärft bereits existierende Konflikte. „Selig, die Frieden stiften!“ Der Blick über den Tellerrand der eigenen Sorgen zeigt: Starke Netzwerke und der Wille zur Friedensarbeit werden gerade jetzt umso dringender gebraucht. Und natürlich braucht es unsere Solidarität hier in Deutschland. Natürlich gibt es auch bei uns Menschen, die von der Pandemie hart getroffen sind, die sich Sorgen machen um ihre Gesundheit oder ihre wirtschaftliche Zukunft. Aber im Vergleich zu den Geschichten, die wir von unseren kirchlichen Partnern aus Paraguay oder Südafrika hören, geht es uns doch oft noch gut. Der Start in die missio-Kampagne heute sagt mir: Seid solidarisch mit den Menschen, denen es so viel schlechter geht als uns hier. Seid solidarisch für Frieden und Zusammenhalt.

Musik 3: Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn, aus: Singt Gott, CD 3 [18 | 1:20]

Starke Netzwerke des Friedens

Die Welt braucht starke Netzwerke des Friedens – gerade jetzt zur Coronazeit. Das katholische Hilfswerk Missio will in diesem Jahr mit seiner Kampagne besonders den Menschen in der Region Westafrika helfen: Burkina Faso, Nigeria, Niger und Ghana.

Diese Region zählt zu den ärmsten der Erde. Krieg und islamistischer Terrorismus bedrohen die Stabilität. Zeitweise sah es so aus, als seien afrikanische Länder von der Coronapandemie weitaus weniger betroffen als Europa oder die USA. Das Coronavirus erreichte Afrika aber nur mit zeitlicher Verzögerung. Heute trifft die Pandemie mit voller Wucht die Menschen in allen afrikanischen Ländern. Und auch da verschärft die Krise die Probleme, mit denen die Menschen kämpfen.

Viele westafrikanische Staaten befinden sich in einer angespannten Sicherheitslage. Islamistische Terrorgruppen breiten sich aus und haben jetzt noch leichteres Spiel. In Burkina Faso, das lange als stabiles friedliches Land galt, haben sie in den letzten Jahren zahlreiche Angriffe verübt. Tausende Menschen mussten fliehen. Im Norden des Landes schlossen Schulen, Krankenhäuser und Gesundheitsstationen aus Sicherheitsgründen. Es erschüttert mich, davon zu hören – aber auch hier gilt: Die Krise verstärkt, was vorher schon war. 

Die Angst ist groß

Das zeigt sich auch in Nigeria, wo die Terrorgruppe Boko Haram weiter aktiv ist. Die Angst ist groß, dass die Fundamentalisten die Coronakrise nutzen könnten, um Länder gezielt weiter zu destabilisieren. Aber nicht nur die Angriffe der Islamisten setzen der Bevölkerung zu. Die Menschen haben kein Vertrauen mehr in ihre Regierungen, denn Polizei und Sicherheitskräfte gehen teils unverhältnismäßig gewalttätig gegen die eigene Bevölkerung vor. Erst recht jetzt in der Ausnahmesituation der Krise. 

Missio unterstützt Initiativen und Projekte in den Ländern vor Ort, die sich für Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt engagieren: Bildungsprojekte in den Schulen. Projekte, die das friedliche Miteinander der Religionen unterstützen. Projekte, die die Religionsfreiheit als fundamentales Menschenrecht schützen helfen. Missio engagiert sich auch für geflüchtete Menschen, die z.B. vor der Terrormiliz Boko Haram flüchten mussten. „Selig, die Frieden stiften!“ (Matthäus 5,9) Das steht als Motto über diesem Sonntag, und unter diesem Motto feiert heute auch der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf den Gottesdienst im Dom. 

Musik 4: Selig seid ihr, aus: Eingeladen, CD 2 [28 | 1:44].

Voneinander lernen, füreinander beten und miteinander teilen. Das geht am besten, wenn uns die Welt besonders nahekommt, wenn sie uns in den Menschen begegnet – per Videochat oder ganz direkt. Im Februar - also kurz vor der Corona-Krise - war eine kleine Gruppe aus dem Bistum Mainz in Ghana unterwegs, um die Missio-Kampagne im Herbst vorzubereiten. Es war eine Lern- und Begegnungsreise. Es ging darum, die Friedensarbeit und den interreligiösen Dialog vor Ort kennenzulernen. Leider konnte ich selbst nicht dabei sein. Die Reisegruppe hat mir aber hinterher von ihren Erfahrungen erzählt. Und alleine zuzuhören, hat mich tief beeindruckt.

"Gib uns die Kraft, die Korruption zu bekämpfen"

So habe ich zum Beispiel von Accra erfahren, einer interreligiösen Organisation, an der auch die katholische Kirche beteiligt ist. Seit 2012 versucht diese Allianz gemeinsam die Korruption in Ghana zu bekämpfen – ganz konkret, indem man sich vor Wahlen engagiert, um zum Abbau von sozialen Spannungen beizutragen. Indem man schon Schülerinnen und Schüler für das Thema sensibilisiert. Werte wie Ehrlichkeit und Fairness stehen im Zentrum und werden über alle Glaubensgemeinschaften hinweg in einem gemeinsamen Anti-Korruptionsgebet formuliert: „Gib uns die Kraft, die Korruption zu bekämpfen und Ghanas Gesellschaft davon zu heilen“, heißt es da. Eine der vielen notwendigen „Graswurzelbewegungen“, die mit kleinen, alltäglichen Initiativen nachhaltig etwas Großes bewirken können.

Wir geben niemals auf!

Die Kirche kann durch ihr starkes, weltweites Netzwerk der Solidarität unglaublich vielen Menschen zur Seite stehen und Mut machen. Davon ist Erzbischof Ignatius Kagama zutiefst überzeugt. Er ist Erzbischof von Abuja, der Hauptstadt Nigerias. Auch von ihm hat mir die Reisegruppe erzählt. An Bischof Kaigama kann man erkennen, was die Christen in Westafrika stark macht: Hoffnung, Vertrauen und Zusammenhalt. Er sagt: „Im Moment erscheint uns alles nur düster und beängstigend. Aber wir geben niemals auf. Wir haben in der Vergangenheit gemeinsam größere Herausforderungen bewältigt. Diese wird nicht anders sein, vorausgesetzt, wir stehen zusammen.“

Mir tut der Blick über den eigenen Tellerrand hinein in die Weltkirche gut. Ich erlebe eine vitale Kirche. Ich höre von engagierten Menschen, die ihren Glauben überzeugend lebend. Mir macht das Mut und motiviert mich, solches Engagement zu unterstützen. Und ich bete auch immer wieder für diesen Zusammenhalt und für unsere Partner in Nigeria, in Südafrika oder in Paraguay. Das zentrale Gebet der Missiokampagne findet gute Worte, den Gedanken von Frieden und Solidarität zusammen zu fassen. Ich möchte Sie einladen, es zum Abschluss zu hören und sich davon ermutigen zu lassen.

SELIG, DIE FRIEDEN STIFTEN

SELIG, die in Zeiten der Not zu ihrem Ursprung finden,

die im Kreuz den Baum des Lebens erkennen,

die Christus erfahren als Alpha und Omega.

Sie werden überwinden, was trennt.

 

SELIG, die in Zeiten der Not Solidarität leben,

die die Masken der Einsamkeit abstreifen,

die in Gemeinschaft über sich selbst hinauswachsen.

Sie werden die Welt erneuern.

 

SELIG, die in Zeiten der Not den Horizont offen halten,

die Türen der Hoffnung auftun,

die den Menschen Leben, Licht und Zuversicht bringen.

Sie werden Frieden stiften.

 

Musik 5: Enjott Schneider: Herr, mach mich zum Werkzeug deines Friedens, aus: Sacred Music Vol. 9 [6 | 3:30].

 

 

 

 

 

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