Ihr Suchbegriff
Wenn meine Gedanken spazieren gehen
Bild: Pixabay

Wenn meine Gedanken spazieren gehen

Ein Beitrag von Janine Knoop-Bauer, Evangelische Pfarrerin, Darmstadt

Wenn meine Gedanken spazieren gehen, dann durchqueren sie eine innere Landschaft. Sie durchwandern freundliche Gegenden. Innere Orte, an denen ich all das Schöne bewahre, das mir im Leben widerfahren ist. In Gedanken daran kann ich Kraft schöpfen. Und mich vergewissern: Das Leben hat es schon oft gut mit mir gemeint. Ich erkenne in diesen Gedanken-Oasen auch Spuren von Gottes Segen. Dann fühle ich mich geborgen und bin dankbar für das Gute, das mir schon begegnet ist.

Aber bei diesen gedanklichen Streifzügen gibt es auch Regionen, die ich lieber meide. Es wird mir unbehaglich, wenn ich in ihre Nähe komme.“ Da möchte ich jetzt lieber nicht dran denken“, sage ich, wenn mich jemand auf ihre Spur bringt. Ich denke lieber schnell an etwas anders und lenke mich ab.

Oft sind es innere Orte, an denen verborgen liegt, wo ich schon einmal schuldig geworden bin. Und auch Erlebnisse sind dort aufbewahrt, bei denen andere schuldig an mir geworden sind. Die Schuld gehört zum Leben dazu. Wer lebt, macht Fehler. Vor allem im Umgang miteinander. Die innere Landschaft ist nicht nur ein Ort der sonnigen Höhen und lieblichen Hügel. Sie ist auch durchzogen von finsteren Tälern und dunklen Höhlen. Der Streifzug durch diese Regionen ist dann kein Spaziergang, sondern eher ein Kraftakt.

Heute beginnt die Karwoche. In der kirchlichen Tradition wird sie auch die heilige Woche genannt. Christen und Christinnen in der ganzen Welt nutzen diese Zeit, um sich ganz bewusst gedanklich auf die Reise in die dunklen Gebiete ihrer inneren Landschaft zu machen. Um darüber nachzudenken, wie ihr Leben verstrickt ist in Leid und Schuld.

Ich glaube es ist eine gute Übung, sich auch den dunklen inneren Orten zu stellen. Sie aufzusuchen, anzuschauen, kennenzulernen. Denn das, was man kennt, macht weniger Angst. Es kann befreiend sein, ein paar der inneren Sperrgebiete wieder zugänglich zu machen. Es geht dabei um einen neuen Umgang mit meiner Schuld. Und auch einen neuen Umgang mit den Menschen, die an mir schuldig geworden sind. Das christliche Wort für diesen neuen Umgang heißt Vergebung.

Die Bitte um Vergebung ist wesentlich für den christlichen Glauben. Im Lukasevangelium sind Jesus letztes Wort am Kreuz eine Bitte um Vergebung: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Und auch im wichtigsten Gebet des Christentums, dem Vaterunser, steht die Bitte um Vergebung an zentraler Stelle. Wer vergibt, entscheidet sich aktiv dafür, die dunklen Regionen der inneren Landschaft wieder neu zu beleben. Sie nicht aufzugeben, sondern in die eigenen Seelenlandschaft mit einzubeziehen. Sie sind damit nicht verschwunden, aber sie engen weniger ein.

Es kann lange dauern, bis man an diesem Punkt ist. Vergebung ist ein Prozess, der Zeit braucht. Die Karwoche kann ein Anfang sein, ein Ausgangspunkt, um sich auf diesen Weg zu machen. Und vielleicht entwickelt sich dieser Weg allmählich zu einem gedanklichen Osterspaziergang durch eine befreite, freundliche Landschaft.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren