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Zum Tag der deutschen Einheit
m.j.-lpz / pixelio.de

Zum Tag der deutschen Einheit

Daniel Lenski
Ein Beitrag von Daniel Lenski, Evangelischer Pfarrer, Königstein-Falkenstein
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„So riecht also der Osten.“ Das war mein erster Gedanke, als ich 1997 am Leipziger Hauptbahnhof aus dem Zug gestiegen bin. Da fand in Leipzig der Evangelische Kirchentag statt. Ich war 13 Jahre alt und zum ersten Mal auf dem Gebiet der damals noch neuen Bundesländer.

In der Schule hatte ich immer das Gefühl, das wir über den anderen Teil Deutschlands nicht wirklich viel gelernt haben. In Geschichte ging es immer nur um die BRD, nie um die DDR. Die Namen und Hauptstädte der westdeutschen Bundesländer kannte ich viel früher als die der ostdeutschen. Und als wir in Mathematik einmal das „Tafelwerk“, eine Formelsammlung aus der DDR, verwendet haben, hat unser Lehrer das besonders betont.

Acht Jahre nach meinem ersten Besuch im Osten musste ich mich entscheiden, wo ich studieren will. Ich bin nach Leipzig gegangen. Ich hatte das Gefühl: Hier kann ich noch mehr lernen als in Hamburg oder Tübingen.

Und tatsächlich: Ich habe viel außerhalb des Hörsaals mitgenommen: Dass die Familie meiner Mitbewohnerin Katja früher zum Telefonieren immer zur Oma musste, weil sie selbst kein Telefon hatte. Oder dass viele meiner theologischen Hochschullehrer zunächst nicht an der Universität studieren durften, weil sie aus Pfarrfamilien stammten und nicht der herrschenden Partei SED angehörten. Ich war beeindruckt: Wer damals in die Kirche ging, hat was riskiert.

Die Jahre in Leipzig haben mich geprägt. Heute frage ich mich manchmal kritisch: Bin ich noch so neugierig auf Unbekanntes wie damals? Zum Beispiel auf die zugezogenen Nachbarn aus einem anderen Land oder auf die Menschen, die politisch ganz anders denken als ich. Wenn ich mal mit einem von ihnen ins Gespräch komme, merke ich, wie wenig ich von ihnen wusste.

Heute feiern wir den Tag der deutschen Einheit. Seit 29 Jahren ist Deutschland wiedervereinigt. Zugleich erlebe ich unsere Gesellschaft als so zerrissen wie selten zuvor. Einheit brauchen wir im Moment nicht nur zwischen Ost und West, sondern zwischen den Menschen, die politisch so ganz unterschiedlich denken. Dafür muss ich gar nicht weit fahren. In meinem eigenen Viertel kann ich mit Leuten ins Gespräch kommen, deren Meinungen und Bräuche mir bisher eher fremd geblieben sind.

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