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Heimat. Sehnsuchtsort - Zum Tag der Deutschen Einheit
birgitta hohenester / pixelio.de

Heimat. Sehnsuchtsort - Zum Tag der Deutschen Einheit

Martin Vorländer
Ein Beitrag von Martin Vorländer, Evangelischer Pfarrer und Senderbeauftragter für den DLF, Frankfurt
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„Ich seh‘ den Kirchturm!“ So ging ein Spiel in Kindertagen. Wenn unsere Familie damals einen Ausflug machte, wurden wir vier Kinder auf die Rückbank im Auto gepackt. Das Dorf, in dem wir damals wohnten, lag hinter einem Hügel in einer Senke. Auf der Rückfahrt versuchte jeder von uns vieren, möglichst gute Sicht nach vorne zu haben. Denn wer zuerst die Kirchturmspitze gesehen hat, rief: „Ich seh‘ den Kirchturm!“ Der oder die hatte gewonnen. Zwar keinen Preis, aber die Ehre, allen verkündet zu haben: Wir sind wieder daheim.

Heimat lebt von Erinnerung. Heimat versetzt einen zurück in die Kindheit. Heimat klingt wie die Sprache und der Dialekt des Ortes, an dem ich aufgewachsen bin. Sie schmeckt für die einen nach Apfelsaft von hessischen Streuobstwiesen, für die anderen nach einem starken türkischen Tee mit viel Zucker. Manchmal spürt man erst in der Fremde, was Heimat ist. Für andere ist sie so selbstverständlich wie die Luft, die sie atmen, weil sie schon immer dort gelebt haben.

Wer mag, kann den Praxistest machen: das Wort Heimat sagen und die Augen schließen. Welche Landschaft oder Stadt taucht vor dem inneren Auge auf? Angeblich gibt es das Wort Heimat nur im Singular. Stimmt gar nicht. Der Duden kennt „Heimaten“. Denn man kann durchaus mehr als eine haben. Ich frage andere gern, was Heimat für sie ist. Meine Erfahrung ist: Das löst immer ein intensives Gespräch aus.

Wir feiern heute den Tag der Deutschen Einheit. Da geht es auch darum: Was macht unser Land aus? Wie gelingt es uns, dass alle sich hier heimisch fühlen können? Deutschland hat sich in den vergangenen 29 Jahren seit der Wiedervereinigung stark verändert. Die Veränderungsgeschwindigkeit nimmt gefühlt immer mehr zu. Je schneller die Welt sich dreht, desto mehr sehnen sich viele nach dem, was Sicherheit und Geborgenheit gibt.

Der Begriff Heimat war in Deutschland lange verbrannt. Die Nationalsozialisten haben ihn vergiftet. Sie haben im Namen des deutschen Vaterlandes millionenfach gemordet und die anderen Länder Europas mit Krieg überzogen. Das ist eine Warnung. Heimat als „Wir gegen die“ ist brandgefährlich. Man darf Heimat nicht denen überlassen, die sie zum Kampfbegriff gegen andere machen.

In der Bibel steht ein Satz, den ich ziemlich hart finde. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebräer 13,14) Keine bleibende Stadt. Das ist schroff. Aber es stimmt. Es gibt nicht die unveränderliche Heimat, die so bleibt, wie sie früher war. Nichts gehört mir hier für immer. Ich kann vieles tun, um mich in diesem Leben zu verankern. Ich kann mich niederlassen, einrichten, mich beheimaten. Aber nichts davon habe ich. Alles muss ich einmal loslassen. Das tut manchmal ganz schön weh.

Zum Glück geht der Satz in der Bibel weiter: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, aber die zukünftige suchen wir.“ Das ist wie ein Heimatrecht im Himmel. Ein festes Zuhause in der Zukunft. Heimat, das bedeutet in der Bibel: Ich bin verwurzelt in der Ewigkeit. Darum bin ich hier auf Erden nirgendwo verloren, auch wenn sich um mich herum vieles ändert und vergänglich ist. Das gibt mir Halt. Darum kann ich zupacken, um mein Zuhause hier und jetzt zu gestalten, das mir mit allen anderen auf Zeit anvertraut ist.

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