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Du siehst mich (nicht)
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Du siehst mich (nicht)

Dr. Peter Kristen
Ein Beitrag von Dr. Peter Kristen, Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

Das zaubert uns ein Lächeln ins Gesicht: Ein Kind, meist drei oder vier Jahre alt, hält sich die Hände vors Gesicht und sagt: „Du siehst mich nicht, du siehst mich nicht.“ Erwachsene lächeln das scheinbar unsichtbare Kind an, finden das süß und lassen sich meist etwas unsicher auf das berührende Spiel ein. Natürlich wissen sie: Das ist keineswegs so. Bloß weil das Kind die Hände vor die Augen hält und mich deshalb nicht sehen kann, sehe ich es doch trotzdem.

Forscher an der Universität Cambridge haben herausgefunden: In der Tat funktioniert Sehen bei kleinen Kindern hauptsächlich über Blickkontakt. Sie sehen wirklich den anderen nur dann selbst deutlich, wenn sie vom anderen direkt angesehen werden. Dann ist das logisch: Wenn ich meine Augen zuhalte, gibt es keinen Blickkontakt zwischen uns und ich bin unsichtbar. Es gibt ein Gedicht von Hilde Domin, das sagt das so:

Dein Ort ist,
wo Augen dich anseh‘n.
Wo sich die Augen treffen,
entstehst du.


Was Hilde Domin poetisch beschreibt, können auch Erwachsene erleben: Wo ich weiß, dass jemand mich ansieht, direkt in die Augen, bin ich mir sicher: Für diesen Jemand bin ich da. Ich weiß, ich bin angesehen. Ich glaube, so ist das auch gemeint, wenn in der Bibel davon die Rede ist, dass Gott die Menschen ansieht, wie in diesem Gebet: „Gott, du erforschst mich und kennst mich. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.“ (Psalm 139,1,3)

Die Bibel erzählt von Menschen, die das erfahren haben. Wie die junge Mutter Hagar das erfahren hat. Sie war von Abraham, dem Vater des Kindes, mit ihrem Sohn Ismael in die Wüste geschickt worden. Als Gott ihr einen Brunnen zeigt und sie rettet, nennt Hagar ihn „El Roi“, das bedeutet: der Gott, der mich ansieht.

Und das Neue Testament erzählt: Auch Zachäus, ein äußerst unbeliebte Oberzöllner hat das erfahren. Zachäus ist auf einen Baum gestiegen, um Jesus zu sehen. Als der unter dem Baum vorbeikommt, sieht Jesus ihn an und lässt ihn so spüren: du bist da, auch du bist angesehen. Da bin ich, wo Augen mich ansehen, denken kleine Kinder. Ich wünschte, das würde nie verlorengehen.

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