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Digital unterwegs
Bildquelle Stock Snap/Pixabay

Digital unterwegs

Helmut Wöllenstein
Ein Beitrag von Helmut Wöllenstein, Evangelischer Propst i. R., Sprengel Marburg
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Bin ich das auf dem Foto? Der im Wald spazieren geht und dabei auf sein Smartphone schaut? Der zusammen mit Frau und Sohn durch den schönen Mai wandert und weder die Bäume sieht noch mit seiner Familie spricht? Ja, ich bin`s. Das Foto zeigt eindeutig mich. Meine Schwiegertochter hat es mit dem Handy gemacht und mir aufs Handy gesendet. Ich fühle mich ertappt. Wo ich doch gerne damit hadere, dass die jungen Leute vor der Elisabethkirche in Marburg stehen und nicht die tollen Türme bestaunen, sondern aufs Handy schauen. Oder lauthals telefonieren im Zug. So bekomme ich mit, warum ein bestimmter Kollege gekündigt wurde. Seinen Namen erfahre ich auch noch ganz nebenbei.
Warum habe ich eigentlich im Wald aufs Handy geschaut? – Habe ich vielleicht den Weg gesucht in Google Maps? Kann auch sein, ich hatte die Wildblumen App auf: „ Was blüht denn da?“ Seit 30 Jahren habe ich das Buch zuhause. Auf Wanderungen ist es manchmal dabei.  Aber die interessanten Pflanzen beim kurzen Spaziergang am Sonntagnachmittag blieben unerkannt. Jetzt nicht mehr.
Also, ich bin immer weniger skeptisch wegen der neuen Technik. Ganz privat wie auch als Seelsorger. Ich weiß, ein persönliches Gespräch lässt sich nicht ersetzen: Du nimmst dir Zeit, hörst zu, nicht nur die Worte zählen, auch die Stimme und das Gesicht. Du kannst anders mitfühlen, was jemanden freut oder bedrückt, wenn du ihm gegenübersitzt. Aber dann höre ich eine Mitarbeiterin, die im Hospiz Sterbende begleitet in ihren letzten Wochen. Sie ist selbst erstaunt, wie wichtig einzelnen Bewohnern der Kontakt über das Smartphone ist. Gerade in dieser besonderen Lage. Jemand will nicht mehr alle Freunde sehen, oder kann es einfach nicht mehr. Aber tippen, ein Foto senden oder empfangen. In nur wenigen Sätzen, im eigenen Tempo, etwas schreiben, etwas Wesentliches, Ernstes oder leicht und witzig. Wie es einem gerade geht, manchmal nur mit einer Formel oder einem Emoji. „Hab Dich lieb“, „hab einen schönen Tag“, „Gott segne dich“. Das tut gut. Und nicht nur da wo ein Leben zu Ende geht, auch da wo ein neues anfängt: Die ersten Bilder, das erste zarte Schreien von unserem Enkelchen, das weit weg in Litauen geboren wurde. Schon Minuten später haben wir es übers Handy empfangen. Ja, es ist richtig: Datenschutz muss sein. Und Social media ersetzen keine persönlichen Kontakte. Doch andererseits haben wir es förmlich selbst in der Hand: Wie wir die neue Technik nutzen; Ob wir anonyme Filterblasen bedienen, Hasswellen verbreiten oder Botschaften senden, die gut sind und froh machen.

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